Heft 
(1968) 6
Seite
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DAVID TURNER (HÜLL, ENGLAND)

Marginalien und Handschriftliches zum Thema: Fontane und Spielhagens Theorie derObjektivität

I

Als Fontane Anfang 1879 die Kritik seines Erstlingsromans Vor dem Sturm in der von Silvester Frey herausgegegebenen Wochenschrift Mehr Licht las, begann eine ästhetische Auseinandersetzung, die ihn jahrelang beschäftigten sollte. Hier begegnete er zum ersten Male einer der bedeu­tendsten Theorien des damals sehr einflußreichen Schriftstellers Fried­rich Spielhagen. Die im ganzen genommen positive Kritik stammte zwar nicht von Spielhagen selbst, verkörperte aber eine seiner wichtigsten Lehren, indem der Verfasser, Eugen Zabel, unter anderem Einwände erhob gegendie direkten Wendungen zum Leser, welche die dichterische Illusion gefährden. 1 Diese Bemerkung entspricht etwa der Stelle aus Spielhagens Beitrag Der Held im Roman (1874), wo er von einem Gespräch mit einem befreundeten, gleichgesinnten Romandichter berichtet:Zu­letzt sagte der Freund: Sie haben vollkommen recht; es giebt nur eine Darstellungsweise: alles für, alles durch die Personen! Der Dichter als solcher hat mit dem Leser direkt schlechterdings nichts zu schaffen; hat ihm kein Wort zu sagen, keines. 2 In einem Brief vom 14. Januar 1879 an den Verleger Wilhelm Hertz antwortete Fontane ziemlich herablassend auf Zabels Einwände; nannte die Ansicht, daß der Erzähler nicht mit­sprechen darf,reine Quackelei, und riefdie besten, berühmtesten, ent­zückendsten Erzähler, besonders unter den Engländern zu Zeugen auf. 3 Trotz dieser entschlossenen Meinungsäußerung aber zeigte seine Praxis in den darauffolgenden Werken deutliche Veränderungen; der beinahe geschwätzige Erzähler seines ersten Romans verschwand nun weitgehend aber nie völlig! 1896 bekannte sich Fontane dann sogar offen in einem Brief an Spielhagen zu dessen Theorie; fand das Hineinreden des Schrift­stellersfast immer vom Übel, mindestens überflüssig. 4 Auch jetzt ließ er sich jedoch nicht von einer bloßen Theorie tyrannisieren, behielt viel­mehr eine beträchtliche Freiheit, die ihm erlaubte, seine Werke so zu gestalten, wie es ihm behagte, die aber nie mehr zu derMaßlosigkeit des Romans Vor dem Sturm führen konnte.

So etwa, in grobem Umriß, die Geschichte von Fontanes Auseinander­setzung mit Spielhagens Theorie der sogenannten Objektivität, 5 wie sie uns die veröffentlichten Briefe und Prosadichtungen überliefert haben. In diesem Beitrag wollen wir nicht einfach Bekanntes wiederholen, son­dern vor allem einen Blick hinter die Kulissen werfen, um festzustellen,

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