Heft 
(1980) 31
Seite
565
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bewerb aufgefordert. Damit wandte er sich direkt an den Poeten. Daß sich in der Kürze der Zeit, die Fontane zur Verfügung stand, nicht gleich praktische Möglichkeiten ergaben, daß wenige Monate (im Grunde waren es nur drei, denn im August begann die Ferienzeit, wo alles ausflog und auch Bunsen verreiste) nicht ausreichten, sich in einem fremden Lande ein neues Leben aufzubauen, sah Fontane dann wohl selber ein. Selbst ein Max Müller mußte mit viel Geduld warten, bis ihm für seine geplante Arbeit ein Minimum an finanziellen Mitteln zur Verfügung stand. Es war Bunsen, der ihm persönlich über fast ein Jahr hinweghalf, sonst hätte auch er nicht in London bleiben können. Er war damals erst dreiund­zwanzig Jahre alt und Fontane jetzt schon zweiunddreißig und hatte Frau und Kind. Seine Briefe zeugen von einer übergroßen Empfindlichkeit, die sich nicht nur aus seiner schiefen politischen Rolle erklärt, sondern daraus, daß er mit zweiunddreißig Jahren beruflich und wirtschaftlich noch ganz unsicher dastand und dringenddie Staffel zu was Besserem suchte. Aus seiner Frustration und Erbitterung heraus kam Fontane zu ganz falschen und ungerechten Urteilen über Bunsen, auch was dessen Stellung und Einfluß anbetraf:Uebrigens kann ich Dir versichern, daß mir die Gunst oder Ungunst Bunsens völlig gleichgültig ist; er ist auch nur eine Null in dieser colossalen Zahl, die sich London nennt und jeder andre kann mir dieselben Dienste leisten. 0 Dies war ein großer Irrtum. Bunsens Fähigkeiten als Diplomat mögen auch heute noch in Frage stehen, aber er war einer der angesehensten und einflußreichsten Persönlichkeiten im kulturellen Leben Englands, und wenn einer helfen konnte, so war es Bunsen. Lepel hatte seine Bedeutung schon richtig erkannt und ist daher in seinem Brief vom 3. August sehr verärgert, daß Fontane die Gunst Bunsens eventuell aus moralischen Gründen, einer falschen Loyalität seinen augenblicklichen Brotgebern gegenüber, aus dem Wind geschlagen hätte und sich damit um sein Glück gebracht. Er wirft ihm Duckmäuser­tum vor, das ihm stets die Flügel lähme. In der Tat waren seine Flügel gelähmt, denn, wie Reuter so richtig sagt,die Bindung an das Kabinett Manteuffel ... hing diesem Aufenthalt wie ein Bleigewicht an ; 2fi aber es brauchte nicht so zu sein. Fontane sah alles von seiner zwiespältigen Situation aus an. Er hatte sich in Vermutungen über Bunsens Absichten verloren, die wahrscheinlich ganz grundlos waren. Ein Konservativer mit stark liberalen Neigungen und Beziehungen, war Bunsen besonders bei der Kamarilla verhaßt und hatte viele Feinde. Die Angriffe Stahls auf ihn bezogen sich auf kirchenpolitische Meinungsverschiedenheiten. Daß Bunsen gerade dafür Fontanes Feder haben wollte, scheint mir sehr zweifelhaft. Er war ein geselliger und gesprächiger Mensch, wie auch aus Fontanes Beschreibung deutlich hervorgeht, und ist Fontane sehr freimütig begegnet und mag ihm allerlei von diesen Problemen erzählt haben. Ironischerweise hatte er das mit Fontane gemeinsam, daß seine Lieb­habereien ihm mehr am Herzen lagen als sein eigentlicher Beruf als Diplomat. Daß Bunsens literarische, wissenschaftliche und philosophische Neigungen und Interessen ihm zum kulturellen Vermittler zwischen Deutschland und England prädestinierten und daß er einem Mann wie