Heft 
(1980) 31
Seite
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Fontane, der ganz ähnliche, wenn auch bescheidenere Ambitionen in dieser Hinsicht hatte, mit besonderem Wohlwollen begegnen würde, ist fast anzunehmen. Er war bekannt für seine warmherzige Hilfe, die er seinen Landsleuten in London zukommen ließ. Seinehumanistische Freisinmg- keit, die man ihm zuschrieb, trat auf menschlicher und sozialer Ebene hervor. Das erklärte die Verehrung, die Bunsen genoß. Fontanes Urteil in seinen Briefen entsprang seiner eigenen Unsicherheit und Bitterkeit; es sind unschöne und unwürdige Gedanken, die hier zum Ausdruck kommen. 27

Bunsen selber war, kein Zweifel, auch in einer schwierigen Lage als Gesandter einer Regierung, der er im Grunde nicht genehm war. So kompliziert lagen die Verhältnisse damals. So ist es auch Bunsen, der Max Müller in England halten will, wenn dieser von Zeit zu Zeit aus Unmut oder Heimweh sich nach einer Stelle an einer deutschen Universität umsieht. Als 1853 endlich eine Professur in Oxford frei wurde und Müller wegen der langen Verzögerung und Unsicherheit, ob er sie erhalten würde, wieder ungeduldig nach Deutschland blickte, bat ihn Bunsen um Geduld und schrieb:Germany would suit you now as little as it would suit me, and we both should not suit Germany. 28 Und als Max Müller endlich, nach langem Warten, den Lehrstuhl erhielt, schrieb Bunsen wieder: [...] Your Position in life now rests on a firm foundation, [...] and that in this heaven-blest, secure, free island, and at a moment when it is hard to say whether the thrones of princes or the freedom of nations is in greatest danger [.. .j 29

Im Mai 1851 finden wir in einem Brief Max Müllers an Bunsen folgende recht treffende Charakterisierung seiner und Fontanes Generation: [...] Sie haben Deutschland noch gekannt, als es zum letzten Mal groß, einig und lebendig war. Die letzte Generation, die Preußens Siege erfochten, steht jetzt noch da, wie die letzten Griechen, die Thebens Größe geschaut. Aber wir wann haben wir Liebe und Stolz zum Vaterlande schöpfen können? Zu Haus geknechtet, im Ausland verspottet, - wo soll da Natio­nalgefühl gedeihen? Für uns ist Deutschland nur noch ein Geisterreich - hier sind wir frei und geachtet - hier haben wir viel empfangen und müssen es bewahren und mehren. Ein Vaterland haben wir nie gehabt die Männer von 48 hätten uns ein Vaterland geben können. Aber es fehlte ihnen der Glaube an ihrem Recht und so wurden sie Betrogene und Betrüger! Was jetzt in Deutschland geschieht, ist Fieber­phantasie, Delirium, reines Phantom ohne alle Realität und Interesse. Von einem solchen Krankenbett treten die Ärzte schweigend zurück - sie wissen, daß nur Einer helfen kann und daß man sie rufen wird, wenn die Krisis beginnt. 30

Ein Hin und Her der Gefühle: Wunsch nach Erfüllung beruflicher Ziele und wirtschaftlicher Sicherheit - Enttäuschung dieser Wünsche - eine lange Wartezeit; Bewunderung des freien Englands und seiner parlamen­tarischen Tradition, Abgestoßensein von gewissen Erscheinungen des eng­lischen Lebens, ein Fremdbleiben in der Fremde, Heimweh und Sehnsucht nach demVaterland, dessen unglückliche politische Verhältnisse das

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