denen er in seinen Jugendjahren gestrebt, die Einigung Deutschlands. Daß diese von oben, unter Absage der demokratischen Traditionen der deutschen Nationalbewegung geschehen war, sah er so wenig wie viele andere seiner Zeitgenossen. Sein Verhältnis zu Bismarck war ebenso zwiespältig wie das Fontanes, dem Menschen Bismarck stand er ebenso kritisch gegenüber wie jener.
Die Freunde sahen sich noch einmal wieder, das war im Jahre 1876, als Max Müller mit seiner Frau zu Besuch bei Georg von Bunsen in Berlin weilte und ihm zu Ehren „interessante Menschen“ eingeladen wurden, „so Helmholtz, Lepsius, Rangabe, auch Theodor Fontane, sein Jugendfreund“ schreibt Marie von Bunsen. 39 Auch Fontane hatte sich inzwischen einen Namen gemacht, einen kleinen Namen jedenfalls.
Weitere zwanzig Jahre vergingen, und der Kreis rundet sich. Beide Freunde publizieren in Rodenbergs Deutscher Rundschau, wo sie sich gegenseitig lesen. Dann erscheinen im Oktober 1896 in ein- und derselben Nummer der internationalen Zeitschrift Cosmopolis Vorabdrucke aus beider Autobiographien: Das Kapitel „Der achtzehnte März“ aus Von Zwanzig bis Dreißig und in englischer Sprache „Musical Recollections“ aus Auld Lang Syne. Das Dezemberheft derselben Zeitschrift bringt Müllers „Literary Recollections“, die Erinnerungen an die Leipziger Freunde. Hatte Fontane damals schon sein Kapitel „Mein Leipzig lob’ ich mir“ entworfen? In einem Brief an Moritz Lazarus vom 5. Januar 1897 schreibt er, daß Müllers Veröffentlichung ihn zur Beschäftigung mit dieser Zeit wieder angeregt habe: „da ziehen all die alten Schwadronen wieder herauf“/* 0
1898 erscheinen dann Fontanes Von Zwanzig bis Dreißig und der erste Band von Müllers Auld Lang Syne in Buchform. Der zweite Band von Müllers Werk folgt ein Jahr später, 1899. Abgesehen davon, daß Müllers Erinnerungen ein ganzes Leben umfassen und Fontanes nur einen bestimmten Zeitabschnitt, ähneln sich die Werke dadurch, daß Fontane sowie Max Müller sich selber im Kreise der Freunde und der Umwelt darstellen, daß sie beide als Extroverten an ihre Lebensbeschreibung her- angehen. Max Müller macht schon die Absicht seiner Erinnerungen im Titel deutlich, den er dem Bumsschen Lied „Auld Lang Syne“ entnimmt mit der so bekannten Anfangsstrophe “Should auld acquaintance be forgot / and never brought to min’?“ 41 Hier hakte aber die Kritik ein, die von dem berühmten Mann nicht eine Darstellung der Freunde, sondern seiner eigenen inneren Entwicklung verlangte, was ihn bald darauf veranlaßte, sich an eine „richtige“ Autobiographie zu machen, die aber Fragment blieb. Fontanes Fortsetzung seiner Erinnerungen blieben ebenfalls fragmentarisch. Beide hatten die Lebensgrenze erreicht. Fontanes Tod im September 1898 betrübte Max Müller: “I have feit the death of Fontane very much“, schreibt er; “one feels oneself quite forsaken and forgotten.“ 42 Zwei Jahre später, am 28. Oktober 1900, starb auch er.
Die Betrachtung der Lebenswege dieser beiden Persönlichkeiten fordert uns geradezu heraus, das etwas strapazierte Wort von Fontanes Verspätung noch einmal zur Diskussion zu stellen. Bei Max Müller handelt es sich
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