Heft 
(1980) 31
Seite
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Berliner Straßen, Plätze und Gebäude. Unter Fontanes Feder wurde Berlin und seine Umgebung nicht nur zum Hintergrund, nicht nur zur unumgänglichen Dekoration; in der Genauigkeit der Beschreibung der Hauptstadt ist zweifellos die Hand des Meisters zu spüren, der die Wanderungen durch die Mark Brandenburg schrieb. Diese Genauigkeit sowie die realistische Darstellung der Beziehungen der Helden, ihre psychologische Entwicklung ließ den Leser den RomanIrrungen, Wirrun­gen als ein Zeitdokument empfinden, das exakt datiert und auf Plätze bezogen war, die den meisten bekannt waren. Fontane führte inIrrungen, Wirrungen das ein, wasBerliner Kolorit genannt wurde, es gelang ihm, das spezifische Leben der Hauptstadt wiederzugeben; er verstand, in diesem und in anderen Werken, die charakteristischsten Züge der Berliner, den ihnen eigenen Dialekt und Humor niederzulegen.

In den zentralen Schlüsselszenen des Romans erscheint als notwendige Komponente stets irgend etwas Berlinisches Straßen, Plätze, Kirchen und Umgebung. Bothos Begegnung mit dem Onkel, Baron Osten, eine für die weitere Entwicklung des Romans sehr wichtige Szene, vollzieht sich in dem den damaligen Lesern bekannten Restaurant Hiller. Auch das Hotel Brandenburg, in dem der alte Baron abgestiegen ist, existierte wirklich, ebenso wie die im Roman eingeführten Vergnügungseinrichtun­gen Kroll und Borchardt sowie beliebte Erholungsplätze und Spazierwege der damaligen Berliner wie Stralau, Treptow, Kranichberg, Schwielow und Straßen, auf denen Fontanes Helden gehen oder fahren, wie z. B. Lützowstraße, Querstraße, Köpenickerstraße, Bergstraße, Magdeburgerplatz und andere. Als Botho vor die Notwendigkeit des Bruches mit seiner Geliebten gestellt wird eine der zentralen Szenen des Romans befindet er sich über sich selbst, über Lene und über die Zukunft nachdenkend in Jungfemheide, dem Berliner Gamisonsplatz zwischen Tegel und Moabit, wo der im Duell getötete Berliner Polizeipräsident von Hinckeldey begraben ist. Sogar bei der Beschreibung der Wohnungseinrichtungen ist Fontane bemüht, irgend etwas einzuführen, das als Kennzeichen der Epoche, als eine Anspielung auf diese, dient und beim Leser bestimmte Assoziationen und Erinnerungen wecken könnte. So hängen in der Wohnung Botho von Rienäckers Bilder der damals populären Maler Albert Hertel (18431912) und Andreas Achenbach (18151910). Als Botho sich zur Verabredung mit dem Onkel begibt, bleibt er vor dem Schau­fenster des bekannten Kunstsalons Lepke stehen, um sich an einem dort ausgestellten Bild des Malers Oswald Achenbach (18271905) zu erfreuen. Der bekannte Literaturforscher H. Spiero hat, als er sich über die Beson­derheiten des Romans ausließ, mit Recht festgestellt, daß unter der Feder des realistischen Schriftstellers sicheine völlige Topographie Berlins entwickelt; Fontanes Realismus gewann Dichtigkeit und Nähe auch aus der Tatsache, daß er seine Menschen in kontrollierbarer Umgebung an­siedelte und sie häufig mit geschichtlich nachweisbaren Personen zu­sammenführte. 3

Natürlich war das für Fontane kein Selbstzweck. In seinem Aufsatz über Paul Lindaus RomanDer Zug nach dem Westen bedauerte Fontane,

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