genannten Obersphäre der Gesellschaft. Und was kann ich? Ich kann ein Pferd Stallmeistern, einen Kapaun tranchieren und ein Jeu machen. Das ist alles, und so hab ich denn die Wahl zwischen Kunstreiter, Oberkellner und Croupier... “, sagt er von sich. 7 Er begreift durchaus, daß die Einfachheit, Aufrichtigkeit und Natürlichkeit Lenes unter den Mädchen seines Kreises eine seltene Erscheinung ist. Besonders deutlich werden Lenes positive Eigenschaften bei einem Vergleich mit Käthe Sellenthin, die ihrem Mann jedoch einen bedeutenden Besitz mit in die Ehe bringt. Käthe ist hohl, leichtsinnig; ihre Gefühle sind oberflächlich und das begreift auch ihr Mann. Else Croner sagt von Käthe: „So ,dalbrig‘ ist keine andere Fontanesche Frau“. 8
Bei einem Vergleich der beiden Frauen bemerkt sie: „Lene ist einer antiken Bronzeflgur vergleichbar, sie ist wie aus einem Guß und heischt gerade in ihrer einfachen, grandiosen Natürlichkeit achtungsvollste Bewunderung. Und Frau Käthe erscheint daneben wie eine kleine, reichverzierte Nippesflgur“ . 9
Schon in den ersten Kapiteln klingt das Thema der Unüberwindlichkeit der Standesbarrieren an. Die Heldin liebt Botho tief und echt, weiß aber, daß zwischen ihnen eine Kluft ist, die nicht überwunden werden kann. „Es heißt immer, die Liebe mache blind, aber sie macht auch hell und fernsichtig ... Ich weiß auch, daß du deine Lene für was Besondres hältst und jeden Tag denkst, .wenn sie doch eine Gräfin wäre“... Du liebst mich und bist schwach. Daran ist nichts zu ändern. Alle schönen Männer sind schwach, und der Stärkre beherrscht sie... Und der Stärkre... ja, wer ist dieser Stärkre? Nun entweder ist’s deine Mutter oder das Gerede der Menschen oder die Verhältnisse. Oder vielleicht alles drei... “ ’ 9 Tapfer tritt sie ihrem Unglück entgegen, der unfreiwilligen Trennung von Botho. Sie ist sehr beherrscht im Ausdruck ihrer Gefühle; äußerlich zeigt sie wenig von ihrem großen Schmerz.
Der Konflikt des Romans wird gelöst: der Aristokrat heiratet die reiche Adlige, die Näherin den Fabrikmeister. Eigentlich hätte der Roman mit dem 15. Kapitel (der Heirat Bothos mit Käthe) beendet sein können, aber der Autor schrieb noch elf Kapitel und führte das Werk (zumindest äußerlich) zu einem harmonischen Finale. Das ist hauptsächlich durch die Idee bedingt, deren künstlerische Verwirklichung Fontane hier anstrebt. Im Brief an Stephany vom 17. Juli 1887 schrieb er in Bezug auf den Grundgedanken von „Irrungen, Wirrungen“: „Ja, Sie haben es vorzüglich getroffen: ,Die Sitte gilt und muß gelten“, aber daß sie’s muß, ist mitunter hart. Und weil es so ist, ist es am besten, man bleibt davon und rührt nicht dran. Wer dies Stück Erb- und Lebensweisheit mißachtet — von Moral spreche ich nicht gern; Max Ring spricht immer von Ehre —, der hat einen Knacks fürs Leben weg.“ 11 Die Gesetze der Gesellschaft und die Standes- barrieren erscheinen Fontane einstweilen noch absolut: keineswegs zufällig läßt er seinen Helden Botho so gründlich über das Denkmal Hinckeldeys nachgrübeln, über das „Herkommen, das unser Tun bestimmt“, über das Gehorchen, das Unterwerfen unter eine Ordnung, darüber, daß auch Lene