Im 9. Kapitel (Szene: Spaziergang in Wilmersdorf) sangen die Helden mit eingeübter Stimme „das Lieblingslied der Frau Dörr, und man war schon bis in die Nähe der Gärtnerei gekommen, als es noch immer über das Feld hinklang ,Ich denke dran... ich danke dir mein Leben“ und dann von der andren Wegseite her, wo die lange Reihe der Schuppen und Remisen stand, im Echo widerhallte. Die Dörr war überglücklich. Aber Lene und Botho waren ernst geworden.“ 22
Nach dem Bruch mit Lene und der Verheiratung mit Käthe erinnert sich Botho an das einstmals der Mutter Nimptsch gegebene Versprechen und geht mit einem Kranz zu ihrem Grab. „Vor dem letzten Hause standen umherziehende Spielleute, Horn und Harfe, dem Anscheine nach Mann und Frau. Die Frau sang auch, aber der Wind, der hier ziemlich scharf ging, trieb alles hügelan, und erst als Botho zehn Schritt und mehr an dem armen Musikantenpaare vorüber war, war er in der Lage, Text und Melodie zu hören. Es war dasselbe Lied, das sie damals auf dem Wilmers- dorfer Spaziergange so heiter und so glücklich gesungen hatten, und er erhob sich und blickte, wie wenn es ihm nachgerufen würde, nach dem Musikantenpaare zurück. Die standen abgekehrt und sahen nichts, ein hübsches Dienstmädchen aber, das an der Giebelseite des Hauses mit Fensterputzen beschäftigt war und den um- und rückschauhaltenden Blick des jungen Offiziers sich zuschreiben mochte, schwenkte lustig von ihrem Fensterbrett her den Lederlappen und fiel übermütig mit ein:
Ich denke dran,
Ich danke dir mein Leben,
Doch d u. Soldat,
Soldat, denkst du daran?“ 23
Das Lied weckt in Botho die allerlichtesten Erinnerungen an seine Liebe zu Lene und gerade darum erscheint es ihm als eine Dissonanz, ja sogar als eine Lästerung, daß das Couplet von einem hübschen Dienstmädchen gesungen wird, das den suchenden Blick des jungen Offiziers auf sich gerichtet glaubt. Zweimal erklingt dieses Lied im Roman, aber dazwischen liegt der beste Teil von Bothos Leben. Nicht zufällig reagiert er so auf dieses Lied: „Botho, die Stirn in die Hand drückend, warf sich in die Droschke zurück, und ein Gefühl, unendlich süß und unendlich schmerzlich, ergriff ihn. Aber freilich das Schmerzliche wog vor und fiel erst ab von ihm, als die Stadt hinter ihm lag und fern am Horizont im blauen Mittagsdämmer die Müggelberge sichtbar wurden.“
Zweimal wird auch eine Tanzszene dargestellt. Im Haus der alten Frau Nimptsch tanzen Botho mit Frau Dörr und Lene mit Hans nach der Musik, die aus dem Zoologischen Garten herüberklingt. Diese Fröhlichkeit ist ganz und gar natürlich; sie fügt sich in den Kontext von Bothos Aufenthalt in der Gärtnerei der Dörrs ein. Der Held vergißt für eine Zeit seinen ständigen Kummer, dem er in letzter Zeit unterworfen war, denn hier, unter einfachen Menschen, einfachen Gedanken und aufrichtigen Gefühlen braucht er nicht zu heucheln, hier kann er ganz er selbst sein.
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