Heft 
(1980) 31
Seite
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In der Wohnung des bereits verheirateten Barons von Rienäcker erklingt ebenfalls Musik vom Zoologischen Garten her. Einer momentanen Kaprice nachgebend zieht Käthe ihren Mann vom Platz und beginnt mit ihm Walzer zu tanzen. Und jetzt ist Botho gezwungen, den zärtlich liebenden Gatten zu spielen. Und dieser Tanz im halbdunklen Zimmer erinnert ihn noch mehr an Lene:Lene mit ihrer Einfachheit, .Wahrheit und Unredensartlichkeit stand ihm öfters vor der Seele ... und:Solche Ge­schichten ereigneten sich häufiger und beschworen in Bothos Seele mit den alten Zeiten auf Lenens Bild herauf ... 24

In der Szene von Bothos Fahrt zum Friedhof benutzt Fontane ein äußerst symbolisches Detail: Die Inschrift eines vor Botho haltenden Wagens weckt in ihm trübselige Betrachtungen:Glasbruch-Ein- und Verkauf von Max Zippel in Rixdorf. Ein ganzer Berg von Scherben türmte sich in dem Wagenkasten auf. .Glück und Glas...' Und mit Widerstreben sah er hin, und dabei war ihm in allen Fingerspitzen, als schnitten ihn die Scherben. 25 Diese Szene folgt auf Bothos Gespräch mit Gideon Franke, das ebenfalls die Erinnerung an das Vergangene wachgerufen hat, an die Tage, in denen er glücklich war.

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Fontane gelang es immer, in seinen Romanen eine besondere, erregende Atmosphäre zu schallen, die den Leser gefangennimmt und seine Einbil­dungskraft weckt. Das wird mit verschiedenen Mitteln erreicht; in erster Linie durch einen plötzlichen Umschwung in der Tonalität des künstle­rischen Ausdrucks, ähnlich wie man die Tonart in einem musikalischen Werk in eine andere Richtung lenkt.

Nach der elegisch gehaltenen Eröffnung des Romans (ein Schatten von Trauer über die Vergänglichkeit wird ausgedrückt) gibt Fontane noch eine weitere kleine Einleitung im 1. Kapitel:Es war die Woche nach Pfingsten, die Zeit der langen Tage, deren blendendes Licht mitunter kein Ende nehmen wollte. Heut aber stand die Sonne schon hinter dem Wilmers- dorfer Kirchturm, und statt der Strahlen, die sie den ganzen Tag über herabgeschickt hatte, lagen bereits abendliche Schatten in dem Vorgarten, dessen halb märchenhafte Stille nur noch von der Stille des von der alten Frau Nimptsch und ihrer Pflegetochter mietweise bewohnten Häuschens übertroflen wurde. Diese zweite Einleitung hat schon nicht mehr so elegische Farben; sie ist neutraler, wie auch die folgende Erzählung über den gewohnten Platz und die gewohnte Haltung der Mutter Nimptsch am Herd vor dem brodelnden Teekessel. Bei der Vorstellung der Frau Dörr jedoch gibt der Autor eine beuteilende Charakteristik:Die so freundlich als Frau Dörr Begrüßte war nicht nur bloß eine robuste, sondern vor allem auch eine sehr stattlich aussehende Frau, die, neben dem Eindruck des Gütigen und Zuverlässigen, zugleich den einer besonderen Beschränkt­heit machte. 20 Das nun folgende Gespräch, in dem Frau Dörr als Solistin auf tritt, enthüllt ihrebesondere Beschränktheit. Eine niedri­gere Tonalität ist offensichtlich; sie wird vor allem durch den Gebrauch der Umgangssprache, durch die Dialektismen in der Rede der Frau Dörr bewirkt.

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