Heft 
(1980) 31
Seite
593
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schließlich in den Hintergrund, den Fontane noch Mitte der siebziger Jahre fast täglich mit Gewinn liest. (SzL/331)

(4) Neben dem generellen Verdikt der Goetheprosa (als langweilig, als überwundenes Zeitbild [SzL 77]) wird z. B. in der Rezension zu den Wahlverwandtschaften (1870) die Tiefe der Konfliktgestaltung gewürdigt. Diese Beobachtung gilt dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Der Unterschied zur zeitgenössischen Gegenwart wird gesehen, nicht aber das Gewordensein dieses Unterschiedes. Die Motivierung der Ottilie in Goethes Roman wird bewundert und in Frage gestellt. Die Suche nach einem Maßstab für Konflikte zwischen Einzelnem undnatürlichem Gesetz, hier auch: demgeoffenbarten Gesetz wird deutlich (ebd.) ohne daß Goethes Lösung im Lichte der gegenwärtigen Bedingungen für Entscheidungen undWandlungen übernommen werden könnte. Diese Ansicht beherrscht auch dieÖdipus-Rezension des Jahres 1873. Betont wird auch hier die Größe des Konfliktes in explizit ausgeführtem Gegen­satz zur Gegenwart. GegenüberSchwulst, nurmehrÄußerlichkeiten undTrivialität im zeitgenössischen Bewußtsein entstünde großer Stil, weil Schuld nicht als kleinbürgerlich-befangenesKlügeln vorgeführt werde, nicht alsKlipp-Klapp-Spiel von Schuld und Sühne (SzL/132). Fontane glaubt in dieser Objektivität den Prädestinationsgedanken Cal­vins wiederzuflnden, der für seine ersten Novellen und Romane von struk­turbildender Bedeutung werden sollte. Als Ganzes verrät diese Würdigung die tiefe Kluft zwischen geschichtlichem Bewußtsein und gegenwärtigen Bezügen zur bürgerlichen Realität.

Werden im einzelnenEgmont undTasso (1870) scharf und polemisch alshistorische Sünde im Umgang mit dem Stoff bzw. alsaristokratische Hof- und Salongeschichte (SzL/'149) verworfen, so werden amWerther und denLehrjahren einzelne Züge und Vorzüge als gelungen hervor­gehoben. Das Ganze dieser Prosa wird als überholter Zeitausdruck emp­funden. Dennoch findet zwischen diesen Bemerkungen, deutlicher in vereinzelten Briefe, eine unverkennbare Tendenz zur Aufwertung Platz, die sich widerspruchsvoll von Werk zu Werk unterscheidet, im ganzen aber mit der Suche des Dichters nach Verallgemeinerung individuellen Geschehens, nach gesellschaftlicher Determinierung und Typisierung korrespondiert. Auch hierbei bleibt das Polemikfeld wichtig. Die verball­hornende Klassikrezeption war ein Grund, warum er z. B. dieIphigenie nie akzeptierte, SchillersJungfrau trotz früherer Ablehnung (1853) schließlich hoch anerkennt (1889). Noch während er teilweise der Faszi­nation Schopenhauers erliegt (um 1873, vgl. AzL 14 f), äußert er sich anerkennend zum Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller. In dem Maße, wie er den Philosophen ablehnt, wendet er sich den Klassikern zu: Je kritischer ich mich gegen alles verhalte, was der geniale Schopenhauer sagt (den ich gleichzeitig nebenher lese), desto unbedingter fühle ich mich den Auslassungen dieser beiden Männer hingegeben. (AzL 14 f). Noch einmal wird zur gleichen Zeit das Pauschalbekenntnis zu Shakespeare, Sott und Goethe erneuert (AzL 61), aber gleichzeitig stößt Fontane sich kräftig von diesen Mustern ab hin zum Gesellschaftsroman Thackerays, zu