schließlich in den Hintergrund, den Fontane noch Mitte der siebziger Jahre „fast täglich“ mit Gewinn liest. (SzL/331)
(4) Neben dem generellen Verdikt der Goetheprosa (als langweilig, als „überwundenes Zeitbild“ [SzL 77]) wird z. B. in der Rezension zu den „Wahlverwandtschaften“ (1870) die Tiefe der Konfliktgestaltung gewürdigt. Diese Beobachtung gilt dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Der Unterschied zur zeitgenössischen Gegenwart wird gesehen, nicht aber das Gewordensein dieses Unterschiedes. Die Motivierung der Ottilie in Goethes Roman wird bewundert und in Frage gestellt. Die Suche nach einem Maßstab für Konflikte zwischen Einzelnem und „natürlichem Gesetz“, hier auch: dem „geoffenbarten Gesetz“ wird deutlich (ebd.) — ohne daß Goethes Lösung im Lichte der gegenwärtigen Bedingungen für Entscheidungen und „Wandlungen“ übernommen werden könnte. Diese Ansicht beherrscht auch die „Ödipus“-Rezension des Jahres 1873. Betont wird auch hier die Größe des Konfliktes — in explizit ausgeführtem Gegensatz zur Gegenwart. Gegenüber „Schwulst“, nurmehr „Äußerlichkeiten“ und „Trivialität“ im zeitgenössischen Bewußtsein entstünde großer Stil, weil Schuld nicht als kleinbürgerlich-befangenes „Klügeln“ vorgeführt werde, nicht als „Klipp-Klapp-Spiel von Schuld und Sühne“ (SzL/132). Fontane glaubt in dieser Objektivität den Prädestinationsgedanken Calvins wiederzuflnden, der für seine ersten Novellen und Romane von strukturbildender Bedeutung werden sollte. Als Ganzes verrät diese Würdigung die tiefe Kluft zwischen geschichtlichem Bewußtsein und gegenwärtigen Bezügen zur bürgerlichen Realität.
Werden im einzelnen „Egmont“ und „Tasso“ (1870) scharf und polemisch als „historische Sünde“ im Umgang mit dem Stoff bzw. als „aristokratische Hof- und Salongeschichte“ (SzL/'149) verworfen, so werden am „Werther“ und den „Lehrjahren“ einzelne Züge und Vorzüge als gelungen hervorgehoben. Das Ganze dieser Prosa wird als überholter Zeitausdruck empfunden. Dennoch findet zwischen diesen Bemerkungen, deutlicher in vereinzelten Briefe, eine unverkennbare Tendenz zur Aufwertung Platz, die sich widerspruchsvoll von Werk zu Werk unterscheidet, im ganzen aber mit der Suche des Dichters nach Verallgemeinerung individuellen Geschehens, nach gesellschaftlicher Determinierung und Typisierung korrespondiert. Auch hierbei bleibt das Polemikfeld wichtig. Die verballhornende Klassikrezeption war ein Grund, warum er z. B. die „Iphigenie“ nie akzeptierte, Schillers „Jungfrau“ trotz früherer Ablehnung (1853) schließlich hoch anerkennt (1889). Noch während er teilweise der Faszination Schopenhauers erliegt (um 1873, vgl. AzL 14 f), äußert er sich anerkennend zum Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller. In dem Maße, wie er den Philosophen ablehnt, wendet er sich den Klassikern zu: „Je kritischer ich mich gegen alles verhalte, was der geniale Schopenhauer sagt (den ich gleichzeitig nebenher lese), desto unbedingter fühle ich mich den Auslassungen dieser beiden Männer hingegeben.“ (AzL 14 f). Noch einmal wird zur gleichen Zeit das Pauschalbekenntnis zu Shakespeare, Sott und Goethe erneuert (AzL 61), aber gleichzeitig stößt Fontane sich kräftig von diesen Mustern ab hin zum Gesellschaftsroman Thackerays, zu