muß uns teuer bleiben“ (AzL 93). Denn zunächst führt eine solche Parteinahme für „den Menschen“ in die nahezu unauflösliche Antinomie von (abstraktem) Protest und affirmativer Tendenz bei der Gestaltung der Verhältnisse.
(5.3) Gegen eine realistische, aber nach Fontane flache Darstellung des Lebens wenden sich seine Rezensionen zu „Das rote Gold“ (Patenius; 1881) und „Arbeiter“ (Kielland; 81—83?). Wiederum fehle diesen Gegenwartsgestaltungen „Licht“ (bei zu viel Schatten) (AzL,'103), wieder erblickt er nur Warnung („Warnstimme“), die schließlich „Eine Stimme in der Wüste mehr“ bleiben müsse (ebd.). Es gebe keine bemerkenswerten Vorbilder in diesen Büchern, nicht „Licht, Verklärung, Humor“ (ebd.). Zwar sei die Eroberung der wirklichen Welt in diesen Romanen ein „Fortschritt“ gegenüber dem „Literaturgeschwätz“ zurückliegender Jahrzehnte (SzL/112) — aber der sachliche Befund allein sei nicht die ganze Wahrheit. Immer stärker, immer häufiger werden nun (äußerlich gegenläufig zu Alexis und z. T. auch Freytag) Subejktivität des Gestalters, Autorenstandpunkt, eine „schöne Seele“ (SzL/112) des Bearbeiters verlangt — mangelnde Freude und Erhebung (ebd. 115) werden nunmehr auch explizit mit der mangelnden Tiefe der Schuld- und Konfliktgestaltung in Beziehung gesetzt. Der Zweck sei verfehlt, so lesen wir auch hier wieder, wenn die Kritik einfach „die menschliche Natur“ (SzL/115) treffe.
Ein vorläufiges Resümee dieser Auseinandersetzung und Positionssuche bei deutschen Autoren bezeichnet Fontanes Rezension zu Paul Lindaus Roman „Der Zug nach dem Westen“ (1866 für die Voss. Zeitung); diese Abgrenzung schließt auch wohl die Kritik an den ersten eigenen Berliner Romanen ein.
(5.4) „Es fehlt uns noch immer ein großer Berliner Roman“ (SzL/108), schreibt Fontane, und mit der Berufung auf Thackeray, der ein umfassendes Bild Londons gezeichnet habe, darf man die Forderung als Wunsch nach einem großen Gesellschaftsroman verstehen. Fontane übersieht auch hier nicht die Vor-Leistung seiner Zeitgenossen in Deutschland (Frenzcl, Kretzer, Mauthner, Glasbrenner, auch Stinde, der Verf. der „Familie Buchholz“ werden genannt; vgl. SzL'415) - aber auch bei Lindau, der sehr genau in das zeitgen. Berlin-West der Finanzwelt eingedrungen sei, findet er seine Vorstellungen nicht verwirklicht.
„Es fehlt diesen Schilderungen etwas... “ stellt er fest und fragt weiter „Was fehlt diesem Realismus?“ „Was ein Roman soll“, vermißt er, knüpft aber auch dabei wiederum bei der Forderung des Zeitbezuges an. Alles von Lindau Beschriebene komme durchaus vor, aber indem er verallgemeinert „es komme alles vor“ (SzL/109), fordert er nunmehr (nicht neu, aber direkter) eine verdichtete Analogie zum realen Leben, eine gesteigerlr Kunstwahrheit, die beim Lesen das Gefühl vermittle, das „wirkliche Leben fortzusetzen“ (109). Vom Gestalter verlangt er „intensiver, klarer, übersichtlicher, abgerundeter“ (ebd.) als das Leben selbst zu verfahren und dann infolge davon eine Intensität zu bewirken, „die die verklärende Aufgabe der Kunst ist.“ (ebd.)
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