„Der Sieg des Realismus schafft die Romantik nicht aus aus der Welt“, meint Fontane, und geschähe dies doch, so sei dies ein „schrecklicher, gar nicht wieder einzubringender Verlust. Der Realismus schallt nur die falsche Romantik aus der Welt.“ (217 f). In neuer Gestalt werde die Romantik mit dem Realismus verschmelzen können („denn sie verträgt sich recht gut mit dem Realismus“; 218) — freilich nicht sofort und unter veränderten Bedingungen. Denn dies könne solange nicht der Fall sein, „solange die Romantik (aber) nur ein Geschäft ist “ (218) — sie könne aber „siegen, wenn sie wieder ein lebendiges Gefühl ist.“ (ebd.).
Hier sind deutliche Zeitbezüge eingeflossen. Nicht nur in die Beschreibung der „falschen Romantik“, aus der Züge der zeitgen. Trivialliteratur erkennbar werden (vgl. Th. 9.3), auch die verballhornte Klassik darf hinzugedacht werden, die er schon 1883 „Biedermeiergeschwätz“ nennt. Und vor allem die Suche nach möglichen Perspektiven für seine eigenen Figuren und Stoffe sind hinzuzudenken, so daß diese Bemerkungen eine Art Zwischenbilanz bilden.
(7.3) Drei zentrale Fragenbereiche der voraufgegangenen Verständigung fließen in die zusammenfassenden Überlegungen ein:
1) eine Genre-Diskussion über Romantypen, die beim Verhältnis von Stoff und Gestaltung ansetzt und die immer häufiger das Verhältnis von Literatur (Abbildern) und wirklicher Welt (Realität) mit der Frage nach der Wirkung von Literatur verbindet;
2) eine Schuld- und Motivicrungsdebatte, die im Kern das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft betrifft (Menschenbildproblematik). Die damit verbundene Suche sollte strukturbildend vor allem auch im eigenen Werk des Dichters werden. Fontanes wechselnde Polemik gegen einerseits milieufatalistische, andererseits subjektivistische Auffassungen vom Menschen setzen bei der Berufung auf Calvin an, nehmen dann zunehmend soziale Züge und Bezüge auf, so daß schließlich daraus die ihm eigene Verteidigung der „menschlichen Natur“ gegen die Macht der gesellschaftlichen Verhältnisse erwachsen kann. Der Vorwurf der Phrasenhaftigkeit und eines beschränkten Egoismus spielen dabei von Anfang an eine Rolle; das Hineinwachsen solcher Grundansichten in neue soziale Spannungsfelder, die Auseinandersetzung mit dem zeigenössischen Realismus und Naturalismus führen den Dichter zu weiteren Überlegungen und Entwürfen, in denen jener psychologisch und sozial motivierte Held der späten Werke geboren wird, der mit-schuld, aber nicht allein-schuldig am Untergang sympathischer Figuren ist (vgl. die Zola-Polemik in These 6.1);
3) eine stärkere begriffliche Erörterung über Realismus und Romantik. Die Traditionssuche dient Ende der 80er Jahre der Abgrenzung von naturalistischen und positivistischen Auffassungen. Unter Rückgriff auf die von Fontane konstruierte Altromantik wird versucht, Maßstäbe für eine realitätsnahe Abbildung mit perspektivistischen Elementen zu verbinden, wobei eine Synthese in dem Maße als problematisch erscheint, wie der Publikums-Bezug von Fontane als in Bewegung
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