mus im Vormärz. Ein solches Programm, in dem Kunst als Entwurf der wirklichen Welt gegenübergestellt wird, 13 teilt auch er nicht, auch nicht in den 80er Jahren. Wenn dann Realismus und Romantizismus nach Fontanes Meinung sich sehr wohl vertragen, ist die grundlegende Komponente, mit zeitgenössischer Kunst wirken zu wollen, nicht „Gleichgültigkeitsproduktion“ zu sein, aufgehoben und bewahrt. In der Kritik zu Otto Brahms Keller-Buch (von 1883) wird denn auch nicht zufällig eine Stildefinition erprobt (vgl. SzL/98), die an die Realismus-Aufsätze von 1883 und 1889 heranführt. Kellers optimistische Utopie scheint F. nicht mehr möglich.
(7.5) Die Äußerungen zu Theodor Storm liegen auf einer anderen Ebene, verteilen sich über viele Jahre und bedürfen daher einer differenzierten Zuordnung (die hier nicht Anliegen ist). Storm, der immer wieder als besonders „poetischer Dichter' 1 apostrophiert wird, wird nicht unkritisch gesehen. Läßt man die persönlichen Attitüden beiseite, so fällt auf, daß Fonante bereits sehr früh (während seiner England-Aufenthalte) das Einmalig-Schöne Stormscher Gedichte und seiner frühen Novellen kritisch sieht, nämlich als mit beschränkter Weitsicht verbunden. Das wiegt um so schwerer, weil er sich 1858 seiner Heimat-Bindung schmerzlich bewußt ist (SzL/265,66): „Ich bin nicht zufrieden hier mit meinem Leben und wünschte tausenderlei anders... das aber segne ich und stimmt mich zum herzlichsten Dank gegen mein Geschieh, daß ich aus dem heraus bin, was ich mit einem Wort das .Theodor Stormsche 1 nennen möchte, aus dem Wahn, daß Husum oder Heiligenstadt oder meiner Großmutter alter Uhrkasten die Welt sei. Es steckt Poesie darin, aber noch viel mehr Selbstsucht und Beschränktheit... “ (ebd. 266). Das Letztere hat Fontane im Rückblick korrigiert. Schon 1853 wurde ja die Ausnahme Storm (gegenüber der Marktgebundenheit der modernen „Poetenarmee“) betont, und an dieses Urteil schließt der alte Fontane in den 90er Jahren an, wenn er im Vergleich und Rückblick bei Storm vieles „bescheidener“ und „gesünder“ als bei seinen Zeitgenossen empfindet (AzL/74). Diese zwar widerspruchsvolle und nie einhellige Anerkennung Storms ist offenbar mit der späten Einsicht Fontanes verbunden, daß Storm früher als Fontane kritisch zum Preußentum stand. 14 Dennoch wird das romantisch-poetische Programm Storms auch später nicht Fontanes Programm. Trotz hoher Wertschätzung der „phrasenlosen Erotik“ in Storms Gedichten, betonter Treue und Wahrheit gegenüber dem Leben, meisterlicher Psychologie der Innerlichkeit in den Novellen des Weggefährten sieht F. jenes Provinzielle bei Storm stets damit verbunden. Er selbst dürfte die neuen Tendenzen in der Zeit der Gründerjahre als so weit entfernt von Stormscher Lebens- und Dichtungsweise empfunden haben, daß auch darin eine Ursache bestehen könnte, daß er den „Schimmelreiter“ (1888) (so weit bekannt) nicht zur Kenntnis nimmt (vgl. AzL/302). Denn die zeitgenössische Produktion der 80er Jahre verfolgte er sehr aufmerksam.
(8) Fontanes bedeutsame Bewertung des „sozialen Dramas“ von Gerhart Hauptmann („Vor Sonnenaufgang“; Urauff. im Lessingtheater am 22. 10. 1889) markiert ein neues Engagement gegenüber Dichtung und Dichtem des Naturalismus, das eine ganze Reihe bereits aufgeworfener Fragen
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