bündelt, präzisiert und korrigiert und zu den eigenen Meisterwerken „Effi Briest“ und „Der Stechlin“ führt, in denen eine neue Stufe von Motivierung und Symbolisierung, von sozialer Determinierung und historisch-politischer Überhöhung des Geschehens erreicht wird. Die Traditionsdebatte, seine Stellung zu Klassik, Romantik und Naturalismus wird noch einmal aufgenommen, um danach als nicht mehr entscheidender Bezug in den Hintergrund gedrängt zu werden: „Der ganze streitsuchende Krimskrams von Klasszität und Romantik, von Idealismus und Realismus“ liege weit hinter ihm, schreibt er 1894 (SzL/325).
(8.1) Wiederum wird gegenüber der Kunstleistung in „Vor Sonnenaufgang“ eingangs die Schwere der Aufgabe (Kritik) betont. Wie zu beobachten war, ein Indiz für besondere Anerkennung, aber auch tiefgreifende Bereicherung durch ein fremdes Muster von Weltaneignung. Nachdem F. den „Inhalt des Stückes“ wiedergegeben hat (SzL/206), fügt er hinzu, daß er den „Ton, in dem das Ganze gehalten ist“ (ebd.) nicht wiedergeben könne, obwohl dieser Ton über „nahezu alles“ entscheide, „denn er ist gleichbedeutend mit der Frage von Wahrheit oder Nichtwahrheit“ (206). Hauptmann habe einen solchen Standpunkt, daß er das soziale Elend nicht nur treffe, sondern auch zu „verklären“ wisse. In diesem Heranrücken des Dramas an die eigenen Vorstellungen vom Realismus kündigt sich eine Rückbesinnung und partiell eine Umwertung Zolas u. a. Autoren an. „Es ist töricht, in naturalistischen Derbheiten immer Kunstlosigkeit zu vermuten. Im Gegenteil, richtig angewandt (worüber dann freilich zu streiten bleibt), sind sie ein Beweis höchster Kunst.“ (206). Das Stück erscheint Fontane wie die „Erfüllung Ibsens“ (hier im Sinne von Weiterführung und Vollendung), weil es die Kühnheit der Fragestellungen bei Ibsen mit einem gesunden Realismus verbinde. Hauptmann sei kein von „philosophisch-romantischen Marotten gelegentlich angekränkelter Realist, sondern ein stilvoller Realist, d. h. von Anfang bis Ende derselbe.“ (207). Darin begegnet sich die Rezension mit den Aufsätzen zu Keller und über Realismus und Romantizismus als Stil und Methode.
Nachdem der Kritiker über die unterschiedlichen Eindrücke und Bedingungen für die Wirkung eines solchen Textes auf der Bühne bzw. beim Lesen nachgedacht hat, bestätigt er noch einmal das Neuartige solcher Stücke, über die „sicher noch viel gestritten werde“ (209), ja, über die auch langjährige Freundschaften zerbrechen könnten. Der Aufsatz scheint in starker Erregung verfaßt worden zu sein und spricht für die Tiefe der ausgelösten Bewegung. Auch beim nächsten Stüde („Das Friedensfest“; Rez. vom 2. 6. 1890) spricht Fontane von „sehr erbitterten prinzipiellen und leider auch persönliche(n) Kämpfen, die die Freie Bühne in der Saison von 89 auf 90 zu führen hatte.“ (SzL'290).
(8.2) Obwohl auch diese zweite Aufführung hoch bewertet wird, verhält sich F. keineswegs unkritisch gegen Hauptmann. An der Wertschätzung des Stückes sind einige Begründungen besonders bemerkenswert, weil sie zeigen, wie stark auch hier Fontanes Leitgedanken in die Auseinandersetzung einfließen. Wieder setzt er bei der Lebensnähe des Konfliktes an.
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