„Was da gegeben ist, ist typisch, und es ist wahr wiedergegeben und ohne Übertreibung.“ (210). Typisch heißt hier zunächst charakteristisch, zutreffend, und von „Übertreibung“ (des „Häßlichen“) war besonders bei Zola (1883) die Rede. Gegen die Lösung des Konfliktes in diesem Stück Haupt- ir.anns erhebt F. Einwände. Sie lasse ihn unbefriedigt, so sehr er mit der „Richtung“ (210) einverstanden sei. „Luft, Licht, Freude fehlen“ (211) dem Rezensenten, und: „Die Tristheit in unserem jungen Realismus dauert zu lange... “ (ebd.), meint Fontane.
(8.3) Scharf ablehnend wird sein Urteil trotz des Erfolges der „Familie Selicke“ von A. Holz und J. Schlaf (Rez. vom 8. 4. 1890). Auch hier zunächst die Zweiteilung des Urteils. Einleitend die Beobachtung, daß dieses Stück dramaturgisch Neuland betrete (SzL 213). Die Frage einer neuen Dramatik stehe zur Debatte. Audi Schlaf und Holz träfen das Berliner Alltagsleben aufs genaueste, aber: gut sei dies nur dann, wenn fotografische Treue alles bedeute. Für ihn, Fontane, nehme der „moderne Realismus'“ eine „traurige Tendenz nach dem Traurigen“ hin (215), und obwohl es auf diese Frage noch keine endgültige Antwort gebe, meine er, daß diese „realistische^) Jammerstücke“, die auch ihn erschütterten, nicht das „geistige tägliche Brot der Nation“ werden könnten, „Denn es bleibt nun mal ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Bilde, das das Leben stellt, und dem Bilde, das die Kunst stellt“ (215). Freilich, das „Bürgerrecht“ wolle er solchen Stücken auf deutschen Bühnen nicht versagen.
(8.4) Hatte F. anfangs solchen Produktionen mehr Kritik als Anerkennung zukommen lassen, nicht zuletzt „gegen den Uberheblichkeitston des jüngsten Deutschlands“, so scheint trotz der sich wiederholenden Kritik die generelle Berechtigung der Richtung auch für ihn keine Frage. „Die Jugend hat recht“, lesen wir in Briefen, wo die Spuren der öffentlichen Debatte, von der er sich zurückzieht, weiterlaufen (an Friedländer, 1890). Vor allem Hauptmann sei ein wirklicher Hauptmann der „schwarzen Realistenbande“, so schreibt er an seine Frau (1889), und auch dem Chefredakteur der Vossischen Zeitung wird bestätigt, was als ein Hauptergebnis dieser Bereicherung verstanden werden kann: „Der Realismus wird ganz falsch verstanden, wenn man von ihm meint, er sei mit der Häßlichkeit ein für allemal vermählt.“ (SzL/364). Dennoch mischt sich in diese Einsicht Besorgnis, „die nächste Generation mit lauter Gerhart Hauptmannschen Schnapstragödien oder Ähnlichem beglückt zu sehen.“ (ebd.). 1390 scheint er ruhiger, er meint, daß die Nachfolger eines G. Hauptmann vor allem auch in der Prosa „den echten Naturalismus“ (361) diskreditierten. Die »dürftige Nachmahd“ auf dem Gebiete des Romans habe eine neue, kolossale Gleichgültigkeit erzeugt, woran gemessen nun Zola und Flaubert aufgewertet werden (ebd.). Theoretisch markiert F. seine Position mit der (alten) Frage, wie denn nun die Realität zu „verklären“ sei — das sei Sache, so antwortet er, einer noch zu findenden realistischen Methode, ln Shakespeare hätten wir bereits „die Vollendung des Realismus“ (364).
(8.5) Daß die Auseinandersetzung mit naturalistischen Dichtungen auch die 90er Jahre begleitete, wurde schon an der Haltung zu Hauptmann gezeigt. „Hanneles Himmelfahrt“ wird gänzlich verworfen. Die Korre-
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