Abstand zu Figuren, die Souveränität gegenüber dem Stoff gemeint sind (etwa gegenüber einem „auf Hochstelzen des Bürokratismus umherstolzierenden Geheimrat, einem Minister, einem Gymnasialdirektor alten Stils...“ usw.; 187). Dennoch gibt es natürlich den weiten Kontext der gesellschaftlichen Haltung des Dichters, die hier nur bis zu der Einsicht führt, daß nicht Orden verlangen könne, wer ständig darüber spotte (188). Der Ausweg aus einem solchen Dilemma (Widerspruch) konnte theoretisch wohl nur in einer kühnen Utopie (mit irrealen Zügen) entworfen werden.
. Die Feierlichkeitsallüren“ sind jetzt außer Kurs gekommen und sind nicht mehr nötig, um Macht und Einfluß zu haben und gesellschaftlich ein Ansehen zu genießen. An der Rangleiter mögen die Stufen bleiben, wie sie sind, aber... (man) mache sich frei von der unselig kümmerlichen Vorstellung, daß zwei Litzen und drei Sterne einen Alltagsmenschen über einen Mann von geistiger Bedeutung stellen.“ (189 f).
Diese Einsicht in reale Abhängigkeitsverhältnisse im junkerlich-bourgeoisen Preußen korrespondiert mit einem (postulierten) Selbstbewußtsein, hinter dem (noch) nicht neue Mächte und Kräfte stehen, die diesen Anspruch tragen und durchsetzen könnten. Im weiteren Sinne ist dies keine Frage der Stellung der Literaturproduzenten allein. Die zitierten Überlegungen begegnen sich mit Zügen und Tendenzen, die die Autonomie der Kunst gegenüber ihren Trägern und Rezipienten verkünden.
(9.3) Kritische Bemerkungen, resignierende Töne, Wunsch Vorstellungen und mutige Alleingänge gegenüber dem „großen Publikum 1 ', vereinzelt auch Verlegern, Freunden und Kritikern, ergänzen dieses Bild — das nicht allein mit Fontanes Äußerungen zu zeichnen ist. Ohne Resonanz lebe es sich schlecht, „es ist ganz gleichgültig, ob du lebst oder nicht lebst, und es ist womöglich noch gleichgültiger, ob du einen Roman unter dem Titel ,Peter der Große“ oder ,Peter in der Fremde“ oder ,Struwelpeter“ schreibst — alle bestehen aus denselben 24 Buchstaben und alle kommen in die Leihbibliothek und werden ä 1 Sgr. pro Band gelesen und nach Gutdünken und Zufall abwechselnd gut und schlecht gefunden... “, dieser Zustand (in den Distributions- und Wirkungsbedingungen) lähme ihn (an Emilie, SzL/271; 1882). Das könnten die Sorgen des Anfängers sein, aber Fontane hat sehr oft und immer schärfer seine Diskrepanz zum Publikumsgeschmack betont. 1894 schreibt er Neumann-Hofer, den Herausgeber des „Magazins für Literatur“: „Ich entferne mich in meinem Geschmack immer mehr von dem, was das Publikum will und was ihm, weil es es will, auch geboten wird.“ (SzL/304). Dies ist auch eine indirekte Bemerkung zur zeitgen. Massenliteratur, die er zwar nur verstreut, aber stets gleichbleibend charakterisiert. Im zit. Schreiben von 1894 kann sich F. die Ablehnung des Druckangebotes leisten: „Ich passe mit meiner Dame nicht auf den Ball, und der Ball paßt nicht zu mir“ (ebd.), aber das ist selbst für Fontane nicht die Regel gewesen und nicht der Kern des Problems.
Die „kinderhaft(en), geschraubt(en)“ und für sein „Gefühl unmöglichen Werke der Marlitt, Julius Wolfis, Brachvogels, Dahns und Wildenbruchs brachten ihren Verfassern (im Vergleich mit Fontane) unglaubliche Sum-
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