sicher nicht die ganze Wahrheit. Im Kapitel „Treue und Untreue — Beharren und Wechsel“ (111—114) werden darüber hinausführende Gedanken vordisponiert, die sich in der Schlußbetrachtung wiederfinden. Die Hypothese wird angeboten, daß es zu tieferen Entsprechungen im Werk beider Dichter gekommen sei, als H. sich in seinem Spätwerk stärker F.s moralischen Ansichten angenähert habe (vgl. S. 114—207/09).
(3) Nachdem Verf. die von ihr aufgefundenen Entsprechungen nacheinander zusammengestellt hat (Grund-Ton, Dialogführung; Figurenanlage; Motive und Symbole; Szenen-Auf bau und -abschlüsse) hebt sie die „spezielle Übereinstimmung im weltanschaulichen Bereich“ (206) hervor. Darunter versteht K. M. die „Hinneigung zum Determinismus“ (ebda), die „Hinweise auf Prädestination'*, „leitendes Schicksal“ u. ä. Andere Werke beider Dichter werden verweisend einbezogen (so „Die ägypitsche Helena“, „Quitt“, „Frau am Fenster“, „Der Stechlin“, „Irrungen, Wirrungen“). Wird die Determinismus-Komponente im Schaffen Fontanes als „Erbe seiner Vorfahren“ erklärt, so jene bei Hofmannsthal „vor allem durch Goethe und seine eigene Beschäftigung mit dem islamischen Orient“ (206). Auch das ist zu eng. Damit können Einflüsse gekennzeichnet werden, nicht aber die eigentlichen historischen Berührungspunkte. Zwischen dieser Komponente im Schaffen beider Autoren und der bereits erwähnten zentralen Thematik von Treue und Untreue bestehen Zusammenhänge und Vermittlungen. K.M. schreibt: „Von der stärksten Bedeutung wurde jedoch jene andere Eigentümlichkeit Fontanes, die er mit Hofmannsthal gemeinsam hatte: seine Inklination für die Behandlung des Themas von Treue und Untreue, Beharren und Wechsel, für die Problematik von Doppelnaturen usw.'* (206) Aber so verständnisvoll sie H.s Ringen um die Integrität der Persönlichkeit nachzeichnet (208), mit Psychologie (Freud), weiteren Parallelen (zu Nietzsche, zu Schnitzler) u. H.s eigener „Lackmus“- Theorie ist den genannten Zusammenhängen höchstens partiell beizukommen. Geschichte und soziale Entwicklung steuern die aufgefundenen Entsprechungen auf dieser Ebene der zentralen Thematik. 3
Wenn die Autoren jenes Zeitraumes vor und nach der Jahrhundertwende (Fin de siöcle) nicht mehr an die Unversehrtheit und Beständigkeit des Individuums glauben, Unsicherheit (Treulosigkeit) und ersehntes Ideal (der Treue) spannungsvoll zueinander in Beziehung setzen, so wirken darin vor allem die menschenzerstörerischen Bedingungen des imperialistischen Zeitalters.
Der Verzicht auf vordergründige Idealbildung, die Thematisierung der gesellschaftlichen Entfremdungszwänge in Geschichten von „Doppelnaturen“ stellt in der Tat einen entscheidenden Berührungspunkt im Schaffen dieser beiden (und anderer) Dichter dar. H. hat dem ebenso überzeugend Ausdruck verliehen (man denke an den sog. Ariadne-Brief an R. Strauß, 1911), wie sich in seinem Werk Wandlungen vollziehen, die mit der Hinwendung zur Prosa, zu den späten Komödien verbunden waren. Fragen von Schuld und Bewährung werden schließlich rigoroser, freilich abstrakter i. S. der isolierten Betrachtung, der Bedingungslosigkeit behandelt.