Heft 
(1980) 31
Seite
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Allein die Benennung seines Werkes in diesem Sinne zeigt an, daß mit diesen Fragen ein Vergleich mit F. angebracht ist. Die Ver­wandschaft beider Dichter gründet zutiefst in Zeitproblematik und Menschenbild. Gerade dabei können auch die Unterschiede benannt werden. Die von K. M. beobachteten Unterschiede (vor allem ihre These, F. sei von Anfang an moralisch-fester mit dem Treue-Thema verfahren) ordnen sich in einen größeren historischen und biographisch-genetischen Zusammenhang ein. Die für Fontane typische Anreicherung psychologisch prädestinierter Figuren durch sozial determinierende Faktoren und Motive, der auch für ihn gültige (letztlich unauflösliche) Widerspruch zwischen einer inneren Autonomie der menschlichen Natur und zerstöre­rischen, diese Substanz gefährdenden äußeren Faktoren, erlauben nicht nur den Vergleich, sondern dieser vermag auf fruchtbare Weise unsere Vorstellungen vom Literaturprozeß zu bereichern. (Wie umgekehrt diese Dialektik von Anziehung und Abstoßung unter konkret-historischen Be­dingungen zu erklären vermag, warum die Analogien zwischen H. und F. besonders zu dessen frühem Romanwerk führen; nicht zufällig ist der Vergleich mitPetöfy undCecile besonders fruchtbar.) 15 Bleibt zu fragen, welchen Wert die Schluß-These der Verf. besitzt, nach einer Casanova-Periode im Schaffen H.s nun auch eine Fontane-Periode anzusetzen (s. S. 213). Das hängt mit der Frage zusammen, welchen Uber­zeugungswert man der Beweisführung der gesamten Arbeit zubilligt.

Der Leser dieser Studie kann Zusammenhänge zwischen beiden Dichtern erkennen. Rezensent neigt zu der Auffassung, daß die Verwandtschaft einemtertium comparationis geschuldet ist, dessen gesellschaftshisto­rischer Horizont skizizert wurde. Daß diese Einsicht möglich ist, ist ein Verdienst der Verf., deren feinsinnige Beobachtungen über ihr eigenes Verfahren hinausführen. Jetzt stellt sich die Aufgabe, Gemeinsamkeiten und Unterscheide dezidierter zu untersuchen und die Ergebnisse auf andere Dichter mit verwandter Thematik auszudehnen. Die Nachwirkung Fontanes in diesem weiten Sinne bleibt eine Aufgabe, schon deshalb, weil neben den historischen Aspekten des Problems die Rezeption des Erbes in der Gegenwart beleuchtet werden kann. 5

Anmerkungen

1 Vgl. die Beiträge von W. Fleischer, G. Michel, G. Lerchner ln: Das literarische Werk als Gegenstand linguistischer Forschung, in: Linguistische Studien, Reihe A, Arbeitsberichte, als Man. vervielfältigt, Berlin 1978.

2 Das ist an sich nicht neu, stützt aber vom Detail her auf anregende Weise die Aussagen der marxistischen Literatur-Geschichtsschreibung. Vgl. Geschichte der Deutschen Literatur, Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 9: Vom Ausgang des 19. Jahrhtnderts bis 1917, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag. Berlin 1977. S. 140 - 218 f. - 272 ff.

3 Die hier für Fontane skizierte Entwicklungslinie findet sich ausführlicher bei Sommer, D.: Prädestination und soziale Determination in Fontanes Romanen, in: Theodor Fontanes Werk in unserer Zeit, Symposien zur 30-Jahr-Feier des Fontane-Archivs der Brandenburgischen Landes- und Hochschulbibliothek Pots­dam, Potsdam 1966, S. 37-52.

4 Die oben (S. 36> kritisierte Arbeit von Müller-Seidel berücksichtigt den Zusam- menhang zwischen Fontane und Hofmannsthal. Während Reuter H. nur einmal erwähnt (im Zusammenhang mit Thomas Mann), ohne konkreten Werlo>ezug, vergleicht Müller-Seidel z. B. ausführlichCScile mit den Gestaltungstendenzen

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