Emilie Fontane: Briefe an Otto Brahm
Herausgegeben und kommentiert von Joachim Krueger (Berlin)
Verehrter Herr und Freund.
d. 2. Nov. 94
Es treibt mich, Ihnen meinen herzlichsten Dank für den hohen Genuß auszusprechen, den mir die gestrige Aufführung des „Hamlet“ bereitet hat. Kainz war stellenweis ganz ersten Ranges, und nur das öftere zu rasche oder zu leise Sprechen schmälerte, wenigstens bei mir, ab und zu den Eindruck seiner Rede. Vieles hat midi erschüttert; die Szene: Schwört etc., mit Ophelia, mit seiner Mutter; nur schien mir der Vater, vielleicht weil ich zu nah saß, zu sichtbar. Einen so ausgezeichneten König, wie ihn Herr Reicher gibt, entsinn ich midi nicht in meinem langen Leben je gesehn zu haben. Und die engelhafte Erscheinung der Ophelia!
Leider konnte ich das Ende nicht abwarten, da mein Mann, der mich einer kleinen Erkältung halber nicht hatte begleiten können, sich über mein spätes Kommen aufgeregt hätte.
Wann werden Sie den versprochenen freien Abend — wie früher — für uns haben? Martha, die leidlich wohl zurück ist, konnte leider gestern wegen „Fremdenbesuchs“ midi nicht begleiten, dafür soll ich Ihnen von meinem Sohn seinen verbindlichsten Dank aussprechen.
Möge es Ihnen so gut gehn, wie es wünscht
Ihre Emilie Fontane
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Liebster Freund.
Berlin, d. 6. Jan. 99
Angegriffen und elend, — verlassen von Mann und Kind —, las ich soeben Ihren Aufsatz in der „Neuen Deutschen Rundschau“. Und es ist mir ergangen wie dem teuren Dahingeschiedenen. Wie oft, wenn er geistig und körperlich deprimiert war, konnte er sich im Umsehn frisch und frei fühlen, wenn etwas an ihn herantrat, was seinen Geist erfrischte und seine Bewunderung weckte. — So auch mir. Nach schweren, schweren Stunden danke ich Ihnen für diese Erfrischung, empfinde ich, daß ich, trotzdem er geschieden, ich mich noch seiner, wenn auch mit Tränen, freuen kann. Haben Sie Dank für jedes Wort, Sie haben ihn gekannt, und so wollte er beurteilt und verstanden sein.
In alter Freundschaft
Ihre alte Fontane
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Lieber verehrter Freund.
Berlin, d. 29. Nov.
Weder dankend noch — bittend habe ich mich geäußert. Das liegt daran, daß ich immer leidend bin. Sie werden mir verzeihen, daß ich erst heut mich für den Blumengruß vom 14. äußere; ich freue mich jeden Tag daran, trotz Schwindel oder Hexenschuß. — Mit 75 ist die Frische dahin, ja, vielleicht,
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