Heft 
(1981) 32
Seite
695
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In ihren, im Fontane-Archiv aufbewahrten Aufzeichnungen über die Fon- tanesche Familie berichtet Henriette v. Merckel von dem Achtjährigen: Theo hat ein reizendes Gemüt, weshalb ich ihn oft mit Rührung betrachte. Blumen und Vögel liebt er sehr. Lerneifer ist ihm angeboren, er macht seine Schularbeiten nicht weil es sein muß, sondern weil er nicht anders kann. Aber er hat auch seine kleinen Fehler, er neckt seine Geschwister zu viel und neigt zu Ungehorsam. Nicht, weil er sich widersetzen will, sondern weil er sich leicht verleiten läßt. 1870 schreibt sie über den Vier­zehnjährigen:Theo ist nach wie vor auf dem Friedricht-Wilhelm-Gym- nasium. Sein Wesen nimmt unverkennbare Ähnlichkeit mit dem seines Vaters an ich staune oft im Stillen über das geheime Wirken der Natur. Er hat eine angeborene Noblesse, der Hauptzug im Wesen seines Vaters. Dabei ist er sparsam, vernascht nicht das Geld, was er sich erlernt, kauft höchstens eine Düte Bonbons, wenn er mit seinen Cousins, die mehr haben als er, bei Kroll ist, ihnen was präsentieren will und alles andere für seine Umstände zu teuer ist.

Daß es unter den Geschwistern in der Tat nicht immer sehr friedlich, zuging, bestätigt auch Theo. Er sei bei aller Neigung zur Nachgebigkeit oftmals schon bei geringfügigem Anlaß in Jähzorn und geradezu sinnlose Wut geraten. So riß er einmal seiner dabei alsPulverhexe betitelten Schwester Haare aus und schrie ihr zu:Ich bin nicht mehr Dein Bruder, nenne mich ,Sie! Auch die jeweilige Bestrafung aggressiver Raufereien mit dem älteren Bruder durch die Eltern habe seine Gemütsverfassung nicht ändern können. Einmal jedoch hat ihn Mutter Emilie in seiner Rage vor einen Spiegel geführt, ihm sein blau-rot verzerrtes Gesicht gezeigt und gesagt, daß man bei solchem Wutanfall auch sterben könnte und dann mit dieser Fratze ewig im Himmel herumlaufen müßte. Diese kurze Bemerkung der Mutter tat ihre Wirkung. Von jenem Tag an bemühte sich Theo, die aufsteigende Wut zurückzuhalten und merkte bald, welchen Vorteil ein sich im Zaum Haltender gegenüber dem Gegenspieler hat. Diese Selbst­beherrschung trug ihm zwar den Vorwurf der Schwester ein, warum er sich denn nicht mehr ärgern ließe, wennsie selbst doch! vor Zorn fast zer­platze, sie war ihm vor allem für sein ferneres Leben sehr von Nutzen. Man habe ihn später auch bei dienstlichen Differenzen gern als Schlichter bemüht, weil er mit seinemGerechtigkeitsflmmel zugleich für einen Phlegmaticus galt, obwohl er innerlich doch der alte Feuerbrand geblieben war.

In dieser Zeit, bestärkt durch den zweijährigen Konflrmandenunterricht bei einem verehrten Geistlichen in der französisch-reformierten Gemeinde, auch unter dem Einfluß der frommen Patin Henriette v. Merckel, muß sich beim jungen Theo eine Neigung zum Predigerberuf entwickelt haben. Aus­schlaggebend dafür wurden aber die Ereignisse des Jahres 1870 mit dem Ausbruch des deutsch-französischen Krieges. Am Tag von Sedan, dem 3. September, durch die Gefangennahme Napoleons III. waren auch die Schüler des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums von derartiger Begeisterung angesichts des offenbar kurz bevorstehenden Friedens erfüllt, daß sie von ihrem Direktor Ranke (einem Bruder des bekannten Historikers)Schul-