Theodor Fontane: The Poppies Queen
Ein unveröffentlichter Entwurf
Mitgeteilt und kommentiert von Gotthard Erler (Berlin)
Hermann Fricke und Friedrich Fontane stellten — wohl Ende der dreißiger Jahre — eine „Liste der für eine Gesamtpublikation in Frage kommenden Novellen, Noveletten, Skizzen und Entwürfe“ Fontanes zusammen, die, in sechs Gruppen gegliedert, 145 Positionen umfaßt. Zahlreiche Texte dieser Aufstellung sind inzwischen veröffentlicht worden, wobei Walter Keitel sich besondere Verdienste erwarb, als er im Rahmen der Fontane-Ausgabe des Hanser Verlages rund 50 Fragmente publizierte und kommentierte. Einen verbesserten Überblick über die nachgelassenen Skizzen und Entwürfe gaben Rainer Bachmann und Peter Bramböck 1975 mit Band 24 der Nymphenburger Fontane-Ausgabe, und seither sind verschiedene weitere Texte in den Fontane-Blättern zugänglich gemacht worden. Mit dem nachfolgend abgedruckten Entwurf erschließen die Fontane-Blätter erneut einen Text aus jener Liste, wo er in Gruppe VI („Novellenstoffe und Figuren“) unter Nummer 139 verzeichnet ist.
Die Handschrift befindet sich im Theodor-Fontane-Archiv der Deutschen Staatsbibliothek in Potsdam. Es handelt sich um acht Blätter, die in einem Doppelblatt liegen, das auf der Vorderseite von Fontanes Hand die Aufschrift trägt: The Poppies Queen. Auf dem ersten Blatt ist ein Zeitungsausschnitt aufgeklebt, auf den übrigen sieben Blättern folgt, mit Tinte geschrieben, der Text. Die Blätter haben das bekannte Format 330 mal 210 mm. Der Entwurf gliedert sich deutlich in vier Teile: Zeitungsausschnitt — Elf-Punkte-Skizze für Personen und Handlung — Notiz zur Selbstverständigung — Ansatz zu einer Gesprächsszene. Bei der folgenden Wiedergabe wird Seitenwechsel durch // markiert.
Der Entwurf muß in den neunziger Jahren aufgezeichnet worden sein; das Schriftbild verweist auf den späten Fontane. Obwohl der Zusammenhang zwischen dem Entwurf und dem (schwer zu lokalisierenden) Zeitungsausschnitt mit einem Bericht über eine Ausstellung in London unklar ist, kann die Notiz zur Datierung herangezogen werden. Auf der Rückseite nämlich findet sich fragmentarisch eine Rezension vom 2. Februar (ohne Jahresangabe). Besprochen wird eine Aufführung des Lustspiels „Der Kuß“ von Ludwig Doczy im Lessingtheater mit Joseph Kainz als König Sever. Da das Lessingtheater 1888 gegründet wurde und Kainz erst zu Beginn der neunziger Jahre dort spielte und der Rezensent zudem von der „fast ununterbrochenen Reihe von Mißerfolgen“ spricht, „welche diese Bühne seit ihrem Bestände zu verzeichnen“ habe, kann die Skizze erst zu dieser Zeit entworfen worden sein.
Welche Intentionen Fontane mit dem Entwurf verfolgte, ist kaum zu sagen. Aufschlußreich ist auf alle Fälle der erneute Rückgriff auf England. Die Handlung wird in die Jahre 1855/56 verlegt, die Zeit des Krimkrieges also und des dritten Aufenthalts des Autors in London. Englische Malerei und
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