Geleitwort zur Diskussion
Im Heft 32 der „Fontane-Blätter“ wurde zur Diskussion aufgerufen. Auf den folgenden Seiten drucken wir Zuschriften zum Aufsatz von Klaus Globig: Theodor Fontanes „Grete Minde“ — Psychologische Studie, Ausdruck des Historismus oder sozialpolitischer Appell?“ (Heft 32, S. 706—713)
In einem weit verstandenen Interesse halten wir solche Beiträge für wertvoll und notwendig. Unser Wissen um Fontane wächst. Unser Textverständnis wandelt sich. Aber nicht allein die unterschiedlichen Ansichten und Verfahren der Interpreten schaffen ein Spektrum von Eindrücken und Lesarten, das die erneute Lektüre anregen kann. Die Wirkung von Literatur leitet sich heute wie damals von anderen sozialen Verständigungsprozessen her, steht mit ihnen in Verbindung und wirkt auf sie zurück.
In diesem Sinne lohnen neue Ansätze, und in diesem Sinne bedarf unser Wissen ständiger Überprüfung, Historisierung und Einbettung in bereits Bekanntes. Leser, die an solchen Meinungsbildungsprozessen interessiert sind, finden im Kommentar zur Textausgabe des Aufbau-Verlages wertvolle Hinweise. (Romane und Erzählungen, Bd 3, 1973 2 , S. 515-537.) Anita Golz hat die damals erreichbaren Quellen anregend aufgearbeitet; u. a. die Notizbücher des Dichters aus dem Fontane-Archiv Potsdam mit Entwürfen und anderen Vorarbeiten. Auch die zeitgenössischen Rezensionen vermögen unser Urteil weiterzuführen. Verlegerkorrespondenz, Briefe und Tagebuchaufzeichnungen des Dichters wollen mitbedacht sein. Das ganze Umfeld der Entstehung und Wirkung damals ist nicht notwendige Voraussetzung heutiger Lektüre — kann diese aber wesentlich bereichern. Daß kollektive Bemühungen aus unterschiedlicher Sicht ihren Wert haben, hat uns Walter Müller-Seidel (in einem Brief) bestätigt:
„Den Ansatz, die Novelle ,Grete Minde' neu zu sehen und so zu sehen, finde ich berechtigt und überzeugend. Den gesellschaftskritischen Trotz sollte man in der Tat nicht unterschätzen. Was ich zu bedenken geben möchte, ist allenfalls dies: aus den archaisierenden Formen, die Erbe des vergangenheitsgläubigen Historismus sind, hat sich der Fontane dieser Novelle noch nicht ganz befreit, und die zeitkritische Brisanz trotz des historischen .Kostüms' ist in den .Likedeelern' um vieles wuchtiger ausgefallen. Als Interpret eines einzelnen Werkes ist man in einer etwas anderen Lage als derjenige es ist, der alle Werke eines Autors gegeneinander abzuwägen hat. Das soll aber nicht als Besserwisserei verstanden werden.“
Wir danken allen Verfassern von Diskussionsbeiträgen, nicht zuletzt Klaus Globig selbst, für ihre Zuschriften.
Otfried Keiler