Heft 
(1982) 33
Seite
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Volker Giel (Leipzig)

1. Zur Anlage des Aufsatzes von Klaus Globig

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In der zur Diskussion stehenden Arbeit wird der Versuch unternommen, die Novelle unter dem bisher kaum beachteten Aspekt der sozialen Frage zu betrachten. Der Autor unternimmt es, die Novelle in unmittelbaren Zusammenhang zu aktuell-politischen Ereignissen, u. a. der Verschärfung des Klassenkonfliktes zwischen aufkommender, sich organisierender Arbei­terklasse und herrschendem bürgerlich-feudalem Machtapparat, zu bringen. Dabei geht der Autor von der durchaus richtigen Feststellung aus, daß Fontane schon Ende der 70er Jahre diesen Konflikt als den für die weitere gesellschaftliche Entwicklung entscheidenden begreift. Daß Fontane darüber verstärkt reflektierte, widerspiegeln die Briefe jener Jahre.

Den Ausgangspunkt der Überlegungen des Verfassers des Aufsatzes zur Novelle bildet die These, daß das Werk ein Appell Fontanes an seine Zeitgenossen, genauer: an die Herrschenden, zur Versöhnung der Klassen, zur sozialpolitischen Integration der Arbeiterschaft durch Gewährung einer Teilhabe an den materiellen Erfolgen der Gesellschaft und zwar sowohl aus humanitären Gründen als auch und vor allem zur Selbsterhaltung der bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit sei. Der Appell Fontanes erwächst nach Ansicht des Autors aus der Erkenntnis des Dichters, daß die wach­sende Unzufriedenheit der unterdrückten Klassen und Schichten unweiger­lich zu einem gewaltsamen Umsturz der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse führen muß.

Um diese These zu stützen, ist der Verfasser darum bemüht, zwischen den politischen Ereignissen, den sozialhistorischen Bedingungen der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts und dem Gehalt der Novelle eine Verbindung herzustellen. Das geschieht aber auf eine zu unvermittelte, mechanistische Art und Weise. Daß gerade zu der Zeit, 1878, als Fontane an der Novelle zu arbeiten beginnt, sich die politischen Auseinandersetzungen (Gründung der SDAP, Streiks, Attentate auf Wilhelm I., Sozialistengesetz usw.) ver­schärfen, ist sicher nicht ohne Einfluß auf Fontanes weltanschaulich-poli­tische und damit auch letztlich künstlerische Haltung geblieben. Er erkannte sehr wohl die historische Tragweite der sich zu dieser Zeit vollziehenden gesellschaftlichen Prozese. Doch indem der Verfasser einfach Fontanes Ver­such, sich diesen Problemen in umfassender Weise zu stellen, mit der Aussage der Novelle kurzschließt, betrachtet er Figurenkonstellation und Fabel der Novelle als bloße Vehikel zur Übertragung von politischen Überzeugungen des Dichters. Da Gehalt und Aussage auf diese Weise der Novelle quasi von außen angetragen werden, die historische Entstehungs­situation als einziges Wertungskriterium herangezogen wird, verbleibt der gesamte Interpretationsversuch zum großen Teil im Spekulativen verhaftet. Die soziale Wirklichkeit Preußens der 70er Jahre, die der Verfasser in der Novelle verkörpert sieht, läßt sich mitnichten so eindeutig im Text auf­finden. Außerdem verbietet der historische Stoff selbst eine einfache Paral­lelisierung von gestalteter Wirklichkeit und Fontanes Gegenwart.

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