Heft 
(1982) 34
Seite
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die Ausgabe vom 18. Juni 1882 nach Thale geschickt hatte, sich dahinter verbergen könnte. In derTribüne hieß es trotz mancher kritischen Ein­wände:Er [Fontane] ist Realist im besten Sinne. Wenn Schiller sagt, daß man durch das Morgentor des Schönen in das Land der Erkenntnis dringe, so hält es ein realistischer Dichter, wie Fontane, umgekehrt. Durch die Erkenntnis der Wirklichkeit sucht er sich den Weg zum Schönen, d. h. zur schönen Wirkung dieser noch so rauhen und harten Wirklichkeit. ... Mora­listen würden lästern, daß Fontane den Ehebruch verteidigt. Es fällt ihm nicht ein. Er hat nur gezeigt, daß die rechte Ehe in diesem Falle nicht die erste, sondern die zweite ist. Fontane bedankte sich am 23. Juni bei Brahm und schrieb geradezu enthusiastisch:Das nenn ich kritisieren! Es wird mir nichts geschenkt oder wenigstens nicht viel, und die schwachen, angreif­baren und namentlich auch die sehr in Frage zu stellenden Seiten meiner Arbeit werden herausgekehrt. Aber nebenher läuft doch zweierlei: das Anerkenntnis, daß man es mit einem ordentlichen und anständigen Men­schen, und zweitens das Anerkenntnis, daß man es mit einem sein Metier ernsthaft übenden, anständigen Künstler zu tun hat. Den Künstler nehm ich noch mehr für mich in Anspruch als den Dichter. Also nochmals besten und aufrichtigsten Dank. Ich bin nun seit beinah vierzig Jahren Schrift­steller, aber unter den mehr als tausend Kritiken, die sich mit mir beschäf­tigt haben, sind keine zehn, vielleicht keine sechs, die dieser gleichkom­men, und ist nicht eine, die dieser den Rang abläuft.

Das Lob des über sechzigjährigen Fontane für die Kritik des achtundzwan- zigjährigen Schlenther eröffnete eine Bekanntschaft, aus der sich im Laufe der Jahre eine herzliche Freundschaft entwickelte, die von Anfang an auch die Schauspielerin Paula Conrad, Schlenthers spätere Frau, einschloß. (Fontane hatte schon das Berliner Debüt der Conrad am 26. Mai 1880 gehörig gefeiert und seinHingerissensein alsBeweis einer weit über das Alltägliche hinausgehenden Begabung angeführt: er mochte offenbar diekleine, leidenschaftliche, kratzbürstige Person sehr.) Der junge Schlenther wurde, wie Hans-Heinrich Reuter gesagt hat,einer der treue­sten Kampfgefährten des alten Fontane, und über den Tod des Dichters hinaus bewahrte und bewährte er die literarisch-kritische Partnerschaft. Schlenther war das rührigste Mitglied in der 1884 gegründeten literarischen Vereinigung derZwanglosen, der auch Brahm, Mauthner, Paul Meyer, Hans Hertz und die beiden jüngeren Fontane-Söhne angehörten und die unter anderem publizistisch für Fontane eintrat.

Schlenthers eingehende, verständnisvolle Rezensionen über die meisten Fontane-Werke die Romane, das Scherenberg-Buch,Meine Kinder­jahre bilden stets die Glanznummern in der zeitgenössischen Resonanz, und Fontanes kommentierende Dankbriefe erweisen sich als adäquates Echo. Als er Schlenthers Rezension vonUnwiederbringlich in der Nation gelesen hatte, schrieb er am 10. Januar 1892 an ihn:Der ver­spätete Morgenkaffee, den ich dabei schlürfte, schmeckte wundervoll, nicht des Kaffees Verdienst, sondern des Zubrots von Ihrer freundlichen Hand. In einer guten Kritik sieht man sich wie in einem Spiegel. Eigentlich weiß man nicht, wie man aussieht, und am wenigsten, was mit einem los ist.