Zeit nützen, vor allem zu Ihrer Wiederherstellung u. zur Sammlung auch Ihrer geistigen Kräfte. Ich glaube bestimmt, daß Ihnen ein körperliches u. geistiges Ausruhn unendlich wohltun wird, u. ich kann Ihnen auch noch das aus einer beinah 45jährigen Ehe sagen, solche Trennungen sind ein großer Gewinn für wirklich strebende Menschen. Als mein Mann mich als ganz junge Frau verlassen mußte, um nach England zu gehn 0 , da wurde mir das halbjährige Alleinsein blutsauer; dennoch lernte ich viel für unser späteres Beisammensein, u. so hat alles sein Gutes.
d. 5. Gestern war ich mit Martha — nach jahrelanger Pause ihrerseits — im Deutsch. Theater, wo zum 150ten Male der „Talismann“ 7 aufgeführt wurde. Für uns beide zum ersten Male. Sehr befriedigt hat uns die poetische Moral des Stückes, teilweise nur das Spiel. Ein Frl. Worm (die Brahm sehr zu protegieren scheint) wirkt mir doch zu südlich, um nicht zu sagen: zu semitisch. Mein größter Genuß ist u. bleibt das Schauspiel, u. es ist eine große Freundlichkeit unsres kleinen Freundes, daß er mir denselben so freigiebig gewährt 8 . Martha dankte ihm gestern u. sagte, er wäre an die Stelle Bleichröder 1 für mich gerückt, u. wünschte sie, er gliche ihm bald mit andren Erfolgen. Mein Alter wird aber dem Theater immer mehr abhold, weil er so schwer versteht; er meint, es läge an den Schauspielern, wir meinen, an seinem Gehör. Aber den neuen Ibsen 10 will er sich ansehen u. prüfen, ob er in seiner keimenden Abneigung gegen denselben bestärkt wird.
Ihr lieber Geburtstagsbrief 11 war für uns alle eine große Freude. Er kam auch zu voller Würdigung, da wir ihn am Vorabend erhielten u. mit Muße lesen konnten. Die unzähligen, die am 30. selbst eintrafen, mußten ungelesen bleiben, da der Gratulanten Zahl sehr groß war. In seltner Treue gedachte auch Frau N.-Seebach 12 , mit herrlichen Blumen, meines Mannes, u. will ich versuchen, ihr in diesen Tagen persönlich zu danken. Morgen muß nun noch das Pietsch-Fest 13 absolviert werden; mein Alterwünscht, daß unsre ganze Familie, hier vier Mann hoch, daran teilnimmt; auf unsre Kosten werden wir nur kommen, wenn wir in Nähe Ihres lieben Mannes sitzen, worauf wir hoffen. — Dieser Brief soll Ihnen Dank u. Teilnahme des Empfängers ausdrücken, der trotz seiner 75 tief in Arbeit u. Beantwortung offizieller Briefe steckt. Sie glauben gar nicht, mit welchem Interesse er Ihren Beobachtungen des lieben, deutschen (popligen) Adels folgte u. beistimmte. Auch er kann ein Lied von ihm, seinem Hochmut, seiner Engherzigkeit u. Unbedeutendheit singen; ja, er hat ein humoristisches [Gedicht] 14 nach seinem Gbt. wirklich niedergeschrieben, u. hoffen wir, daß er es, bei einem kl. Diner 15 , welches wir planen, unsren lieben Gästen, als Dessert, geben wird. Wir hoffen auf Fr. Erich Sch[midt] lf ’, der ich meine Bitte mündlich vortragen will, selbstverständlich auf Ihren Mann, Brahm u. Hauptmann; es ist nur so schwer, die berühmten Leutchen an einem Tage zusammenzubringen.
Sonst — wenn es Ihnen, nach dem Aufgezählten, nicht lächerlich von einer alten Frau klingt — leben wir still u. haben es recht winterlich; der Schnee liegt hoch, u. heut nach wochenlangen trüben Tagen scheint einmal die Sonne. Sie werden keinen Mangel daran haben. Möge die heilsame Luft
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