die Wonne tollster Indiskretionen, ohne die Papa die Welt für unerträglich langweilig erklärte. Ich hoffe immer noch, daß Sie über kurz oder lang nach Berlin zurückkehren, Ihr Mann behaglich altert, Sie phlegmatisch werden und wir unsern Erinnerungen leben. Ich garantiere Ihnen weit
geöffnete Arme, fröhliche Kritik und anständige Verpflegung.
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Direkt und indirekt höre ich, daß Ihnen die leidigen Nerven viel zu schaffen machen; ich kann Ihnen auf diesem Gebiet besser folgen, wie mir lieb ist, Ihnen aber zum Tröste sagen, daß ich, die ich doch tiefer u. länger drinsitze wie Sie, auf einem langsam aufsteigenden Ast mich befinde. Ich habe die letzten Fahrten ohne Salomon u. ohne Kodein gemacht und denke freiwillig am 19. mit K. E. O. auf 10 Tage nach Berlin zu gehen. Er hat dort seine Vierteljahrs-Sitzung 39 u. will sich Material zum Nekrolog seines ältesten Freundes Hubert Stier in der eingemotteten Grunewald-Woh- nungM zusammensuchen. Ich werde dann wohl nur die liebe Fr. Sternheim 41 treffen, die sich sehr über den Gruß von Ihnen freute. Sie ist momentan ganz erfüllt von der Verlobung ihres ältesten Sohnes mit einer schönen, reichen, christlichen Belgierin; Haken noch unbekannt.
Um mal wirklich allein zu sein, haben wir unsere größere Villa einem Freunde meines Mannes überlassen, Landschafter Dr. Müller-Kurzwelly. Ihn hatte ich vorher öfter gesehen, die Frau war mir unbekannt. Sie erwartet im Okt. nach äjähriger Ehe Nr. 4 und bevorzugt Wendungen wie: „als ich Ingeborg erwartete“, „wie Swen unterwegs war“, „kurz vor Gerts Geburt“. Da sie auch nährte und „gegen alle Prüderie“ ist, finde ich die Gesamtatmosphäre reichlich animalisch; ich bin aber kinderlos und altmodisch. Von unsern Enkeln sehen wir nichts; der Schwiegersohn hält Norddeutschland für arktische Gefilde und gibt unserer kleinen Exzellenz immer seltener Urlaub. Hätte man nicht Natur u. Kunst u. ein gutes Bett, so wäre die Herzenseinsamkeit, in der man lebt, wirklich grauslich. Unser Theo ist auch chronisch unzufrieden mit uns, weil wir seine Ungerechtigkeiten und Gehässigkeiten gegen Friedei nicht immer übergehen; ach ja, bequem für die Eltern sind ja Söhne ohne Schulden und kleine Illegitimen, aber dafür wächst das Pharisäertum ins Ungemessene, u. erst vorm Richterstuhl der Ewigkeit wird alles in Ordnung kommen. Wo unser Senior weilt, wissen wir überhaupt nicht — jedenfalls auf einem andern Stern. Das gemeinsame Kind dieser verschiedenen Eltern, unsere Trudy, ist mit der kleinen Martha Fontane 42 in Laasphe (bei Marburg) auf einer Fasanerie. Sie hat uns im Winter viel Freude gemacht; ihr Glück u. ihr Charakter leiden aber unter der Hin- und Herzerrerei, u. wir wollen nun zu Onkel und Tante zurückschrumpfen. — Von Neuruppin habe ich nicht viel gehört; am besten gefiel mir ein Artikel von Dr. Ettlinger 43 .
Ihr Mann fragte gelegentlich an, wie wir über Klein für das Berliner Denkmal 44 dächten. Sehr geneigt! Wir wissen aber gar nicht, daß etwas im Werke ist.
Wie ich schon auf dem Postabschnitt schrieb, drückt es mich außerordentlich, daß Ihrem Mann die Ferien regelmäßig durch Fontane-Angelegenheiten getrübt werden. Er teilt mir wohl kurz mit, wann und wohin er die „Briefe an Freunde“ 43 wünscht. Vorläufig sitzen wir selbst noch tief
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