Heft 
(1982) 34
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die Urne, griff zitternd hinein und zog die Nummer 5. Schon 4 Tage danach hatte er sich in Braunschweig zu melden. Dort erwartete die Ein­berufenen sogleich die erste herbe Enttäuschung: wegen der hohen Zahl der Desertionen der nur widerwillig den Rekrutierungen nachkommenden jungen Männer sperrte man die Rekruten zunächst einmal in das Gefäng­nis, damit sie nicht gleich wieder entweichen konnten, bevor sie dann einige Tage danach unter strenger Bewachung den Marsch zu ihrem Garni­sonsort Magdeburg antreten mußten. Ruthe wurde dem 6. westfälischen Linienregiment einverleibt. Da er schreiben und lesen konnte, ruckte er sogleich zum Kompanieschreiber auf, zumal der Feldwebel dieser Einheit kurz zuvor davongelaufen war. Die Schreibstubenarbeit nahm ihn voll in Anspruch, denn alle Tage fehlten Soldaten, die auf eigene Faust Abschied genommen hatten. Auch Ruthes Bleiben bei der Truppe währte nicht lange, nach 3 Wochen glückte auch ihm die Flucht durch eines der stark bewach­ten Festungstore. Auf Schleichwegen gelangte er in sein Heimatdorf zurück, mit Freude, aber auch mit Furcht von den Seinigen aufgenommen, denn sowohl derb Deserteur als auch denjenigen, die ihn versteckten, drohten harte Strafen. Versuche, bei anderen, z. T. weit entfernt hinter der Weser wohnenden Verwandten Unterschlupf zu finden, schlugen fehl, niemand wollte einen Deserteur bei sich beherbergen. Schließlich fand er ein Ver­steck in Hildesheim. Aber schon nach wenigen Tagen wurde er dort zu nächtlicher Stunde verhaftet. Die Gendarmerie, von seiner Desertion in Kenntnis gesetzt, hatte seine Mutter und seinen Onkel festgenommen und so unter Drude gesetzt, bis sie den Ort seines Unterschlupfes Preisgaben. Sein Leidensweg führte Ruthe nunmehr unter scharfer Bewachung von Gefängnis zu Gefängnis, bis er wieder in Magdeburg eingetroffen war, wo er seinem Regiment überstellt werden sollte. Er hatte wenig Hoffnung, mit dem Leben davonzukommen, denn mit Deserteuren machte man damals kurzen Prozeß. Aber der Zufall wollte es, daß sein Regiment inzwischen in Richtung Kassel in Marsch gesetzt worden war. Zusammen mit anderen Leidensgenossen wurde er nunmehr dem Regiment hinterhergeschickt. Wieder ging die Reise von Gefängnis zu Gefängnis. Mehrere Versuche, zu fliehen, erwiesen sich als undurchführbar. Fast in letzter Minute gelang ihm dann, zusammen mit 5 anderen Gefangenen, bei einer Rast unweit Lutter am Barenberge doch noch die Flucht, wobei einer von ihnen, dicht neben Ruthe, den nachgesandten Schüssen zum Opfer fiel. In nächtlichen Märschen, immer in Furcht vor den Gendarmen, den gefürchteten und verhaßtenStrickreitern, ging es quer durch den Harz nach Osten, um in das damals nicht mehr besetzte Preußen zu gelangen. Kurz vor Witten­berg erreichte die Flüchtlinge die Nachricht vom Zug des Herzogs von Braunschweig, von dem man die Abschüttelung des napoleonischen Joches erwartete; seiner Truppe wollte man sich anschließen. So ging es also wieder zurück, demSchwarzen Herzog nach. Aber in der Nähe Braun- schweigs wurde Ruthe vom Heimweh überwältigt, er verließ die Schar und traf wieder zuhause ein. Zwar gelang es erneut, ein Versteck in Hildesheim ausfindig zu machen, aber die Furcht vor Entdeckung und Wiederverhaf­tung überall fahndeten die Gendarmen emsig nach Deserteuren ließ kein längeres Bleiben zu. Mit einem Begleiter machte sich Ruthe auf eine

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