Heft 
(1982) 34
Seite
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lange Wanderschaft, zunächst nach Hamburg und von dort aus über Lenzen, wo es ihm gelang, einen preußischen Paß zu bekommen, Perleberg und Bötzow (Oranienburg) nach Berlin. Auf den Rehbergen erblickte er erst­mals die langersehnte Stadt. Die große Hoffnung, die er sich von Berlin gemacht hatte, ging freilich nicht in Erfüllung. Seine geringe Barschaft war bald aufgezehrt, alle Bemühungen, einen Broterwerb zu finden, schlugen fehl. Schließlich blieb ihm nichts weiter übrig, als das sichere Berlin wieder zu verlassen und sich erneut dem unsicheren Hildesheim zuzuwenden. Zwei Jahre lang lebte er dann dort im Untergrund. Sein Versteck konnte er nur des Nachts verlassen, dann kletterte er über die alte Stadtmauer und wanderte in der Umgebung der Stadt umher, blieb auch wohl bei schönem Wetter einige Tage im Freien, im Walde schlafend. Die Langeweile, vor allem im Winter, versuchte er durch die Lektüre von literarischen und wissenschaftlichen Werken, mit Übersetzungen, Verse- machen und Stricken zu überbrücken. Schließlich hielt er es nicht länger mehr aus, erneut war Berlin sein Ziel. Ein erster Versuch mußte wegen verstärkter Patrouillentätigkeit der Gendarmen abgebrochen werden, erst in einem zweiten Anlauf erreichte er im August 1811 wiederum die preu - ßische Hauptstadt, auf Umwegen und zu Fuß natürlich. Hier hatte er dies­mal mehr Glück als zuvor, er konnte seinen Lebensunterhalt durch Fran­zösischunterricht bestreiten, und ein Landsmann verschaffte ihm eine Gratismatrikel an der ein Jahr zuvor gegründeten Universität. Er begann ein Studium der Medizin, zu dem damals auch Zoologie und Botanik gehörten. Mit besonderem Feuereifer griff er die Naturwissenschaften an, vor allem die Botanik. Dieses Fach wurde damals von Willdenow 4 ver­treten, von dem der Ausspruch stammt:Jeder Botaniker muß auf jeder Stelle, wo er sich etwa hinlegt, alle Pflanzen und Pflanzenteile, klein oder groß, auf den Blick erkennen und benennen können. Ruthe beherzigte dies und hat in zwei Jahren, mit wenigen Ausnahmen, auch wirklich einen solchen Kenntnisstand erreicht. Durch die Vermittlung des Zoologen Rudolphi erhielt er schließlich eine mit 10 Talern monatlich dotierte An­stellung als Hilfsassistent und Aufseher in der Anatomie und war dadurch seiner Geldsorgen enthoben. Auch der Nachfolger Willdenows, Professor Link 5 Fontane sollte später bei ihm seine Apothekerprüfung in Botanik ablegen gleichfalls ein Landsmann Ruthes aus Hildesheim, förderte ihn und verschaffte ihm wöchentlich ein- bis zweimal einen freien Mittagstisch, später auch eine Stelle am Zoologischen Museum.

Einige Aufregung brachte dann die Zeit der Befreiungskriege. In seinen Erinnerungen berichtet Ruthe anschaulich über einen Kosakenüberfall auf das von Franzosen besetzte Berlin und über die endgültige Befreiung der preußischen Hauptstadt durch russische Truppen.

Durch Vermittlung von Professor Rudolphi erhielt Ruthe bald darauf die Stelle eines Lehrers der Naturgeschichte an der Plamannschen Lehr- und Erziehungsanstalt®, die er zunächst neben seinem Studium wahmahm. Schließlich aber beanspruchte dieser Posten ihn derart, daß er nach fast fünfjährigem Studium die Medizin gänzlich aufgab und sich völlig dem Lehrerberuf zuwandte. 10 Jahre hindurch wirkte er an der genannten