Peter Wruck (Berlin)
Fontanes Entwurf „Die preußische Idee“
I
Bedeutung und Beschaffenheit des Textes
Viele Satiren, sagt Fontane in seinem Erinnerungsbuch „Von Zwanzig bis Dreißig“, werden ohne Kommentar gar nicht verstanden. 1 Er denkt an den „Frack des Herrn von Chergal“, eine seinerzeit schon vergessene Erzählung des Tunnelgefährten und „freundlich väterlichen Helfer(s)“ 2 Wilhelm von Merckel. Die persönliche Invektive und der politische Gegenstand blieben sonst im Dunkeln: „Was eigentlich dahintersteckt, davon merkt man nichts oder merkt es zu spät oder merkt es falsch. Dieser Frack des Herrn von Chergal ist nämlich nichts als die altmodische ständische Verfassung, die Herr von Gerlach — Chergal ist eine bloße Buchstabenumstellung dieses Namens — unter allen Umständen konservieren wollte.“ 2 Vergleicht man die Sujetstruktur, dann zeigt sich Fontanes Entwurf „Die preußische Idee“ aus dem Jahre 1894 nahe und wohl nicht zufällig verwandt mit Merckels kleiner Satire, wie sie in Fontanes Memoiren dargestellt ist. Auch Fontanes Adolph Schulze widmet sein Leben als preußischer Staatsdiener, der es zum Geheimrat in den Berliner Ministerien bringt, einem traditionsbeladenen staatspolitischen Leitgedanken, den er unter allen Umständen konserviert sehen will. Schulzes Idee teilt das Geschick jenes Fracks, der „infolge beständiger Ausflickungen und Änderungen gar nicht mehr er selber ist, aber trotzdem noch immer als das .unantastbare Heiligtum von ehedem* angesehen und getragen wird. Die Wendungen und Wandlungen, die das arme Ding durchmacht und die doch alle darauf hinauslaufen, in ihm etwas .Unwandelbares* besitzen zu wollen, bilden den Inhalt der Erzählung, in der man es, oberflächlich angesehen, lediglich mit einem exzentrischen oder spleenhaften alten Herrn zu tun hat, der eigensinnig an einer Schrulle festhält.“ 4
Im Unterschied zum „Frack des Herrn von Chergal“ ist die Idee Adolph Schulzes nicht allegorisch zu verstehen, und so weit sich sehen läßt, muß auch keine Personalsatire entschlüsselt werden. Aber der zeitgeschichtliche Bezug, der das Lebenselement der politischen Satire ist, erschwert später oft mehr als bei andren Gattungen ihr Verständnis, auch wo sie sich nicht darin erschöpft. Mögen die Gestalten, Begebenheiten, Formulierungen, die der Autor herbeizitiert, noch erinnerlich sein — der historische Zeitwert, den sie ehemals mit ins Spiel brachten, ist mit ihnen dahingegangen. Zudem wechselt jene preußische Idee, die uns heute wieder beunruhigt, in Fontanes Entwurf proteushaft die Gestalt, so daß ihre Identität, wenn nicht Existenz fragwürdig erscheinen. Unter diesen Umständen ist es mit der Kommentierung nicht getan; der Entwurf, aus zwei ungleichartigen Teilen zusammengesetzt und obendrein fragmentarisch erhalten, ist in hohem Maße interpretationsbedürftig.
Man muß sich wundem, daß es diesem Text, dessen Vorhandensein seit 1937 publik war, lange an der Beachtung gefehlt hat, die anderen wichtigen,