dritten Tage mit einer weiteren Variante der preußischen Idee, die ihm erlaubt, guten Gewissens noch zehn Jahre im Amt zu verbleiben. Was folgt, ist bereits ein Epilog, der allerdings, wie später zu zeigen ist, ausschlaggebende Gesichtspunkte nachliefert.
An dieser Stelle kommt es auf den Typus Schulze an, in dem sich der Drang zum Höheren mit plattem Opportunismus paart und ein gutgläubiges Integritätsbedürfnis mit steter Pflichterfüllung im Guten wie im Bösen. Sucht man nach seinem Losungswort, dann lautet es Loyalität. Vergangenes verbindet sich da mit Kommendem. Denn Schulze wächst hinaus über den sogenannten Geheimratsliberalismus, der in seiner Gestalt satirisch preisgegeben wird. Die Milde, die Fontane vordergründig walten läßt, sollte nicht den Blick für die Entdeckung trüben, die ihm gelungen ist. Oder wäre vor Schulze in der deutschen Literatur schon jener beamtete Erfüllungsgehilfe der Staatsmacht aufgetaucht, der — willenlos, nicht skrupellos — aus der patriotischen Tradition die unentbehrliche Beschwichtigung und Selbstrechtfertigung bezieht, egal, was daraus geworden ist, und was ihm dazu an Statur fehlt? An dem bereits der Selbstvollzug ideologischer Manipulierung vorgeführt und thematisiert wird? Diese Eigenbedeutung der Figur, auf die Fontane sein Erzählvorhaben begründet, verdient nicht, von ihrer ideologiekritischen Funktion verdeckt zu werden. Dabei ist auch die Tradition der Typensatire zu bedenken, in der manches gang und gäbe ist, was man in der „Preußischen Idee“ der Unfertigkeit eines Entwurfs zur Last legen oder als Eigentümlichkeit dieses Entwurfs ansehen könnte. Die Typensatire bedient sich regelmäßig einer Zurücknahme der Individualität auf wenige Wesenszüge, von denen einer das Bild beherrscht, eines statischen Figurenaufbaus, der keine wirkliche Entwicklung kennt, und der Hervorhebung nur eines Konfliktstoffs, eines Problems.
Fontane verstand sich auf diese Verfahrensweise. Aber während er Frau Jenny Treibei geborene Bürstenbinder mit einem differenzierten, vergleichsweise umfangreichen Figurenensemble umgab und in eine zentralisierte, dabei entfaltete Konflikthandlung versetzte, entwirft er in der „Preußischen Idee“ die Entwicklung einer Figur, die keine Entwicklungs- flgur ist, ohne ihre Ausstattung mit einer Umwelt vorzusehen, die mehr als punktuell individualisiert wäre. Daß daraus Ausformungsschwierigkeiten erwachsen, läßt sich absehen.
Als der eigentliche Partner des Helden fungiert die preußische Idee. Er und sie charakterisieren sich gegenseitig; sie ist Bestandteil seines Denk" und Verhaltensmusters. Weil er dauernd an ihrer Verinnerlichung arbeitet, tritt sie auch außerhalb von ihm gar nicht in Erscheinung; Fontane bedient sich mit Selbstverständlichkeit der personalen Erzählsituation, um diesen Verbund darzustellen. Handlung entsteht hauptsächlich, weil der Held gezwungen ist, sich seine Idee ein ums andere Mal zurechtzulegen. Denn der preußische Staat — um es auf einen im Nachmärz geprägten Ausdruck zu bringen — macht keine Ideenpolitik, er treibt Realpolitik.
Schulzes „Dollpunkt“ (S. 122) ist die Versessenheit, die ihn gegen diesen Umstand, den er praktisch ausgezeichnet zu berücksichtigen weiß, weltanschaulich blind macht: psychologisch eine Narrheit, politisch eine Naivi-
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