IV
Zur Verstrickung von Held und Autor in die Traditionsgegensätze des Preußentums
Parität besagte der Sache nach lediglich, daß Preußen bis zu den napoleo- nischen Kriegen nach dem Grundsatz des „Cuius regio eius religio“ ein protestantischer Konfessionalstaat war, seit dem Wiener Kongreß, der die Einverleibung großer Gebiete mit katholischer Bevölkerung brachte, aber von Rechts wegen ein paritätischer, auf die Gleichbehandlung der beiden großen christlichen Bekenntnisse verpflichteter Staat. Für Schulze bedeutet Parität allerdings mehr. Er bezieht sie wie noch jede Wendung der preußischen Regierung auf politische Maximen, die er der preußischen Tradition entnimmt. Im gegebenen Fall kennzeichnen sie Preußen als einen Rechtsstaat und als Erben friderizianischer Religionsfreiheit.
Die preußische Idee ist aber für Held und Autor allgemein und im wesentlichen ein Traditionsproblem. Schulze versteht darunter eine bindende Verpflichtung der Gegenwart durch die Vergangenheit. Praktiziert wird hingegen, wie Fontane zeigt, die Aktualisierung von Bestandteilen einer heterogenen Überlieferung je nach der wechselnden Bedarfslage. Diese Art Gebrauch von der Tradition zu machen erscheint im Entwurf als der Generalnenner für ihre Sinnentleerung. Von innen her werden der Sinngehalt dieser Tradition und ihre Einheitlichkeit, die bei der Suche nach einer preußischen Idee vorauszusetzen wäre, durch die Janusköpfigkeit Preußens und des Preußentums in Frage gestellt; von seinen Eigenschaften diejenige, über die bei seinen Betrachtern am ehesten Einverständnis besteht. 38
In Fontanes Entwurf zeigt sich das preußische Doppelgesicht vor allem im Verhältnis des Preußischen zum Freiheitlichen, auf das der Gedankengang wiederholt zurücklenkt, im ersten Teil konstatierend, im zweiten argumentierend. Das Hauptinteresse liegt aber im ersten Teil bei den konkreten Formen, unter denen preußisches Traditionsgut für die Regierungspolitik in Anspruch genommen wird. Von der Amtstätigkeit des Staatsretters natürlich abgesehen, stand Fontane seiner Figur in der Hinsicht erheblich näher als im Bereich der ghibellinischen Idee.
Wer mit Fontanes politisch-weltanschaulicher Biographie vertraut ist, erkennt ohne weiteres die Entsprechung, die zwischen seinem 1849 ein* tretenden Übergang auf entschieden antirevolutionäre und propreußische Standpunkte und den Positionen besteht, die in der „Preußischen Idee“ zur gleichen Zeit von Schulze eingenommen werden. Die Besinnung aufs Altpreußische, das Heraufbeschwören Friedrichs des Großen, die Wendung gegen die Revolution aus Furcht vor der Anarchie — im Entwurf heißt es gut preußisch „Umsturz“ (S. 119) - sind zentrale Motive in Fontanes Übergangsprozeß, der keineswegs bloß auf einen aus der materiellen Zwangslage geborenen Opportunismus zurückzuführen ist.
„Die Lehre vom Gegensatz“ (S. 119), mit der Schulze anschließend befaßt wird, scheint nur auf den ersten Blick aus diesem Zusammenhang herauszufallen. Sie bildet den Kern der Staatsphilosophie, die Adam Müller, der auf der äußersten Rechten der politischen Romantik operierte, unter