Rätsel der Zeit, die Sozialdemokratie, nicht gelöst habe. Die kompositorische Verklammerung mit dem Beginn des ersten Teils spricht dafür, daß dort ursprünglich der Anfang geplant war. Die Parallele zwischen Bismarck und Friedrich Wilhelm IV. läßt ihrerseits erahnen, daß die Kollisionen weitergehen werden. Die Opposition schließlich, zu der Schulze sich hiermit erstmals aufrafft, verbleibt im Weinlokal und im Räsonnement, folgenlos wie jede seiner freiheitlichen Regungen gewesen ist.
Professor Hehnchen erhält die überlegene Position zugewiesen, braucht sich allerdings kaum zu profilieren, so daß von der Persönlichkeit des Kulturgeschichtlers und Goethe-Philologen Victor Hehn, der Fontane Modell gestanden hat, nur wenig im Entwurf zutage tritt. Novellistische Ergiebigkeit besaß der historische Hehn (1813—1890), den Fontane nicht nur aus Huths Weinlokal, sondern auch aus seinen Büchern und Briefen kannte, durchaus. Der gebürtige Balte hatte unverschuldet unter zaristischer Polizeiverfolgung und Verbannung gelitten, bevor er nach Berlin kam. Der feinsinnige Mann war ein entschiedener Antisemit; in Heine sah er zwar nicht, wie der Hehnchen des Entwurfs, den Verderber Deutschlands, wohl aber der deutschen Sprache, die er von jüdischer Seite überhaupt aufs ärgste bedroht glaubte. Scharfer Gegner der Sozialdemokratie und antiliberal, meinte er: „Ich bin, um es kurz zu sagen, auf den Namen Bismarck getauft.“ 48
Hehnchen behält im wesentlichen diese Eigenschaften. Aber vor allem wird ihm die Aufspaltung der preußischen Idee in ein ideologisches Phantom, auf das nicht viel zu geben ist, und eine Devise unbedenklicher Eroberungsund Machtpolitik übertragen, die allein Realität besitzt: „(...) ich möchte beinah sagen, diese preußische Idee geht durch — Preußen nimmt, wenn es geht, und nimmt nicht, wenn es nicht geht. Das andre besorgt sich so nebenbei, mal so und so.“ (S. 122) Da keine Entkräftung erfolgt, erscheint in diesem Zynismus der sittliche Anspruch der preußischen Idee erledigt. Die Idee selber erledigt sich im Schlußgespräch der Geheimräte, die Schulze das letzte Geleit gegeben haben. Sieht der eine in ihm noch immer den Träger einer Idee, so meint der andere, man habe einen guten Kerl verloren. Es leuchtet ein, daß Fontane diese letzte Charakteristik wieder ausstreicht. „Und Idee? Nun ja, wenn Sie wollen. Aber ohne geht es noch besser.“ (S. 123, A. 9) Zu Keitels Annahme, dieser letzte Satz sei vermutlich versehentlich nicht gestrichen, gibt es keinen erkennbaren Grund, es sei denn eine Lesart des ganzen Entwurfs, die an diesen Ausgang nicht glauben mag.
Das wäre begreiflich, kann aber, wie gezeigt wurde, nicht aus den Textverhältnissen begründet werden, sondern nur aus dem Abstand erklärt, der sich zwischen dem Schlußbefund und anderslautenden Bekundungen Fontanes auftut. Für die eigene Person bekannte er sich durchaus zum Loyalitätsprinzip und sah mit Genugtuung, daß die Macht der Hohen- zollern, die er für eine wohlerworbene hielt, fest im Volk verwurzelt war. Der verabscheute reale Borussismus vermochte seine Sympathie für ein besseres, wahres Preußentum nicht zu ersticken. Und wenn ihm der preu* ßische Staat nicht sympathisch war, hatte er doch „keinen größeren Be-
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