Heft 
(1982) 34
Seite
198
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Hebbel vermißt in Fontanes Auswahl Dingelstedt. Wenn wir heute, nach­dem erörtert worden ist, welche Autoren Fontane berücksichtigt hat, uns auch die Frage vorlegen, welche er übergangen hat, würden wir wohl eher eben Friedrich Hebbel selbst und, neben ihm, Gottfried Keller und Anette von Droste-Hülshoff nennen. Sie fehlen imDeutschen Dichteralbum, obschon bereits zur Zeit der Vorbereitung der 1. Auflage desDeutschen Dichteralbums von allen dreien Ausgaben ihrer Gedichte erschienen waren 21 und sowohl Hebbel wie auch Gottfried Keller und die Droste Eingang in andere zeitgenössische Anthologien gefunden hatten.

Auf diese zeitgenössischen Anthologien muß hier noch eingegangen werden. Denn man darf nicht nur vermuten, daß Fontane, als er an seiner Antho­logie arbeitete, sie zu Rate gezogen hat, vielmehr hat er zwei in seinem Brief an Lepel vom 14. April 1851 sogar genannt, die von Kletke und von Goedeke. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Auswahl, sei es der Dichter, sei es der Gedichte, die er in solchen Sammlungen vorfand, seine eigene Wahl beeinflußt hat. Wir ziehen daher zum Vergleich sechs Anthologien heran, die 1851 zumindest mit ihrer 1. Auflage Vorlagen, und gehen zuerst der Frage nach, welcher anderen Anthologie FontanesDeutsches Dichteralbum hinsichtlich der Auswahl der Dichter am nächsten steht. Es sind die Gedichtsammlungen von Gustav Schwab (zuerst 1835), Otto Friedrich Gruppe (1836), Theodor Echtermeyer (zuerst 1836), Hermann Kletke (1843), Karl Goedeke (1844) sowie Heinrich Friedrich Wilhelm! (1848). 22

Bei dem Vergleich desDeutschen Dichteralbums (in seiner 4. Auflage) mit diesen Sammlungen zeigt sich, daß Fontanes Auswahl der Dichter am stärksten mit der von Wilhelmi übereinstimmt, dessenDie Lyrik der Deutschen 1852 in zweiter Ausgabe erschien. Von den 56 Autoren, die mit Gedichten in Fontanes Anthologie vertreten sind, finden wir 41 auch bei Wilhelmi. Es ist interessant festzustellen, welche Dichter Fontane, über Wilhelmi hinaus, imDeutschen Dichteralbum präsentiert. Es sind ins­gesamt 15 Autoren, darunter allein 9 Mitglieder desTunnels über der Spree (einschließlich Theodor Fontane) sowie die demTunnel nahe­stehenden Theodor Storm und Otto Roquette. Im übrigen hat Fontane, über Wilhelmi hinausgehend, noch Klaus Groth und Hermann Lingg her­angezogen, aber auch den schon erwähnten Grafen Schlippenbach sowie den Schweizer Publizisten Johann Jakob Reithard. In der Haupt­sache also so kann man feststellen weicht Fontane von Wilhelmi darin ab, daß er denTunnel über der Spree in seiner Auswahl stärker heraus­stellt. Denn bei Wilhelmi sind an Mitgliedern desTunnels bzw. an ehe­maliger Mitgliedern nur Geibel, Kugler und Strachwitz zu finden.

Mit diesem Vergleich soll indes nicht behauptet werden, daß Fontane WilhelmisDie Lyrik der Deutschen, die übrigens die deutsche Lyrik von Goethe bis auf die Gegenwart in Auswahl darbieten will, benutzt und erweitert hat. Denn es gibt keinen Beweis dafür, daß er sie gekannt hat. Doch ist die weitgehende Übereinstimmung, auch ohne daß die Frage der Verwendung geklärt werden kann, nicht uninteressant.

Übrigens dürfte die Auswahl der Gedichte (im Gegensatz zu der der Autoren), die Fontane trifft, der Vermutung, Fontane habe Wilhelmi