benutzt, widersprechen. Denn nur ein kleiner Teil der Gedichte, die Wil- helmi bietet, ist auch in Fontanes „Deutschem Dichteralbum“ zu lesen.
Der Vergleich zwischen dem „Deutschen Dichteralbum“ und den anderen fünf Anthologien läßt, was die Autorenauswahl angeht, eine nicht so weitgehende Übereinstimmung erkennen. Die Zahl der Autoren, die sich im „Deutschen Dichteralbum“ und zugleich in der jeweiligen anderen Sammlungen finden, beträgt bei Kletke 38, Goedeke 36, Echtermeyer (Ausgabe 1847) 29, Schwab 22 und bei Gruppe 19.
Bei der Auswahl der Gedichte, die Fontane getroffen hat, ist — mehr noch als bei der Auswahl der Dichter — der Zeitpunkt zu berücksichtigen, zu dem die 1. Auflage herauskam. Sie erschien etwa zwei Jahre nach der gescheiterten Revolution von 1848/49. Es wäre kaum möglich gewesen, zu jener Zeit in der preußischen Hauptstadt eine Sammlung revolutionärer Gedichte erscheinen zu lassen, die für die demokratischen Ideale von 1848/49 eintraten. Auch war die Lage, als 1857 die vierte Auflage erschien, kaum anders. Es ist aber auch die Frage, ob es Fontane, wenn es möglich gewesen wäre, überhaupt gewollt hätte. Denn er vollzog Anfang der fünfziger Jahre eine — obschon nur vorübergehende — Änderung seines politischen Standpunkts. In dem Aufsatz „Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848“ (1853) schrieb er sogar, und zwar mit Bezug auf Freiligraths Gedicht „Die Toten an die Lebenden“, das er als einen „Apostel des Realismus“ bezeich- niete: „Wir verwahren uns auf das entschiedenste dagegen, als ob die politische Richtung dieses Gedichts auf unser Urteil influiert hätte; wir bekennen uns vielmehr als einen eingefleischten Royalisten vom Wirbel bis zur Zeh, können aber freilich nicht umhin, bei Beurteilung von Kunstwerken lediglich den ästhetischen Maßstab gelten zu lassen.“ 23 Seine Indifferenz, die hier allerdings seinem Royalismus nicht widersprechen soll, hatte er schon in seinem Brief an Lepel vom 4. September 1851 bekundet: „Ich persönlich verhalte mich jetzt den politischen Gedichten des Jahres 48 gegenüber (was ihre politische, meist extreme Richtung angeht) völlig indifferent und kritisire sie als Ästhetiker mit derselben Unparteillichkeit wie z. B. die gleichzeitigen Gedichte der Royalisten und Puritaner zu den Zeiten Cromwells. Ich kann Freiligrath’s ,Die Todten an die Lebenden 1 und Deine Ode ,An den König 1 hintereinander weg lesen und mich an der poetischen Kraft u. Weihe beider erquicken. Mein Parteistandpunkt ist weder im einen noch im andern vertreten; als Ästhetiker hab’ ich aber ebenfalls darüber zu wachen, daß der einmal eingenommene Standpunkt des Dichters auch beibehalten wird, und das tust Du bei der in Rede stehenden Stelle.“ 2,1 Doch hat er sich gegenüber Lepel sowohl vom Royalismus wie auch vom Republikanismus distanziert.
Nun muß man solche — schwankenden — Zeugnisse nicht ernster nehmen, als sie es verdienen, und den Druck der Verhältnisse, unter dem Fontane stand, ebenso in Rechnung stellen wie die Möglichkeit, daß mancher Ausspruch, der wie ein Bekenntnis anmutet, mehr aus der Stimmung des Augenblicks als aus bleibender, gut begründeter Überzeugung stammt. Dennoch ist ein Wandel in den politischen Auffassungen Fontanes nicht zu übersehen. Er äußerte sich auch in der Auswahl der Gedichte.
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