Man kann die Gedichte, die Fontane in seine Anthologie aufgenommen hat, in vier Gruppen einteilen. Da ist erstens die Liebes-, Natur- und Wanderlyrik. Diese Gruppe nimmt den breitesten Raum ein. Es versteht sich, daß hier Wilhelm Müller besonders stark vertreten ist, seine Frühlings-, Müllerund Wanderlieder entsprechen am besten jenem Maßstab, den Fontane bei der Auswahl anlegen wollte, nämlich das „Einfache, Frische und Gesunde“ vor allem zu seinem Recht kommen zu lassen. Das gleiche läßt sich von Uhlands Liedern sagen, von dem die Anthologie zumal Natur- und Wanderlieder bringt, während Rückert und Heine vorab mit ihrer Liebeslyrik (aus dem „Liebesfrühling“ und dem „Buch der Lieder“) zu Wort kommen. Als mit bedeutenden oder doch bekannten Gedichten vertreten verdienen aus dieser Gruppe noch Eichendorff, Geibel, Groth, Kerner, Lenau, Lingg, Mörike und Storm genannt zu werden.
An einzelnen Gedichten seien einige hervorgehoben, die uns ihres künstlerischen Wertes wegen besonders ansprechen, so Lenaus „Schilflieder“, Linggs „Mittgszauber“, Liebeslieder von Mörike wie „Ein Stündlein wohl vor Tag“ und „Das verlassene Mägdlein“ oder von Storm wie „Du willst es nicht in Worten sagen“ und „Meine Mutter liat’s gewollt“, während Storms „Oktoberlied“ die Anthologie eröffnet. Genannt werden muß aber auch Uhlands „Frühlingsglaube“, nicht zuletzt deshalb, weil das Gedicht zu jenen Frühlingsliedem Uhlands gehört, die Fontane so hoch bewertet, daß ihm schon eines von ihnen mehr galt als „der ganze La Motte Fouque [...] mit Haut und Haaren.“ 25
Andere Gedichte — und das sind besonders Wanderlieder — rufen unsere Aufmerksamkeit wach, weil sie allgemein bekannt sind, etwa Eichendorffs Gedichte „Das zerbrochene Ringlein“ („In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad... “) sowie „Der frohe Wandersmann“ (Wem Gott will rechte Gunst erweisen“), aber auch Geibels „Morgenwanderung“ („Wer recht in Freuden wandern will... “), Kerners „Wanderlied“ („Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein ... “) und Franz Kuglers „Rudelsburg („An der Saale hellem Strande... “).
Die zweite Gruppe bilden die politischen und gesellschaftskritischen Gedichte. Hier hat Fontane eine sehr enge Auswahl getroffen. So wie er die meisten seiner eigenen politischen Gedichte aus dem Vormärz nicht veröffentlicht hat, so hat er auch hier die politische Lyrik des Vormärz fast gänzlich unterdrückt.
Aus der Zeit der Erhebung gegen Napoleon stammen immerhin etliche Gedichte der Anthologie. Da sind vier Lieder von Emst Moritz Arndt: „Des Deutschen Vaterland“, „Das Lied von Schill“, 26 „Das Lied vom Feldmarschall“ 27 und „Vaterlandslied“, ferner Theodor Körners „Lützows wilde Jagd“ und Max von Schenkendorfs „Das Lied von Schamhorst“ und „Freiheit“ („Freiheit, die ich meine...“). Der 2. bürgerlichen Revolution (1820—23) in Spanien ist Wilhelm Müllers „Hymne auf den Tod des Raphael Riego“ gewidmet. Von dem Freiheitskampf der Griechen gegen die Türken (1821—1829) künden vier „Griechenlieder“ von Wilhelm Müller sowie „Gastrecht“ von Anastasius Grün, von dem der Polen gegen den Zarismus (1830/31) Lenaus Gedicht „Der Polenflüchtling“ und Herweghs
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