Wenden wir uns nach dieser Bestandsaufnahme der Frage nach der Funktion der „redenden“ Namen zu. Es wurde schon angedeutet, daß solche Namen dazu dienen, die Figuren kurz und präzise zu charakterisieren. Dabei muß darauf hingewiesen werden, daß es sich oft um Typisierungen handelt, die also durchaus Bestandteil des Fontaneschen Realismus sind. Einschränkend sei aber gleich hervorgehoben, daß es sich bei allen Typen der figurativen Namen ausschließlich um Nebenfiguren handelt.
Demetz beantwortet am Schluß seines Aufsatzes „zögernd“, wie er sagt, die Frage nach der historischen Entfaltung der Namenskunst Fontanes. Seine Ergebnisse seien kurz referiert: Im Frühwerk Fontanes herrsche der allegorische Typ vor, wie er sich aus dem komischen Roman des 18. Jahrhunderts herleite. In den Gesellschaftsromanen der frühen und mittleren Periode scheine ein „labiles Gleichgewicht des allegorischen, andeutenden und antithetischen Namens“ zu herrschen. In der späten Epoche verschwinde der allegorische Name fast ganz, und andeutende und antithetische Namen herrschen vor.“ 8
Diesem Ergebnis ist zuzustimmen, wenn man nur die in diesem Abschnitt behandelten figurativen Personennamen im Auge hat. Ansonsten führt es zu irrigen Vorstellungen über Fontanes Namengebung. Wenn man sich die Mühe macht, sämtliche in repräsentativen Romanen der drei Perioden vorkommenden Namen zu berücksichtigen, dann sieht das Ergebnis wesentlich anders aus: In den kleineren Frühwerken Fontanes, die an die Storm- schen Chroniknovellen erinnern und noch gewisse Bindungen an bekannte literarische Muster aufweisen, zum Beispiel Grete Minde (1879) und EUern- klipp (1881), können wir als flgurative Namen anführen: die Pastoren Roggenstroh und Sörgel und vielleicht noch den Puppenspieler Hinterlacher, d. h. drei von insgesamt ca. 50 vorkommenden oder auch nur erwähnten Personennamen. Dabei ist übrigens Roggenstroh als Bauer-Ubername und Sörgel als Übername zu dem Iterativum „sörgeln“ dokumentiert und belegt. In den Kriminalromanen Unterm Birnbaum (1885) und Quitt (1890) sind es Mewissen (vielleicht), Unverdorben, Griepenkerl und der Berliner Rechnungsrat Espe (vielleicht), Valerius Herberger und Monsieur Camille L’Hermite. Auch hier handelt es sich vorwiegend um wirklich vorkommende, nicht um erfundene Namen. In beiden Romanen finden wir insgesamt rund 100 Personennamen. In Elfi Briest (1894/95) haben wir den Apotheker Gieshübler, den Geheimrat Rummschüttel und den Kandidaten Holzapfel als „redende“ Namenkombinationen. Insgesamt zählen wir ca. 75 Namen. In den Poggenpuhls (1895/96) finden sich keine figurativen Namen und im Steehlin (1897/98) schließlich zwei oder drei von insgesamt ca. 80 Personennamen. Von einem Vorherrschen der allegorischen und komischen Namen kann also in keinem der Romane Fontanes die Rede sein. Dis heißt nicht, daß wir das Vorhandensein solcher Namen unterschätzen dürfen. Die „Kenntnis der Fontaneschen Namensgebung“ trägt aber weniger „zur Lektüre und Bestimmung der einzelnen Romane“ im Sinne einer Abgrenzung bei, wie Demetz meint, 9 als zur Beleuchtung der realistischen Gestaltung im ganzen. 10
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