Heft 
(1982) 34
Seite
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befindet sich der Rezensent in einiger Verlegenheit, weil ihm nicht einsich­tig geworden ist, welche Adressatengruppe der Herausgeber im Auge gehabt hat. Wenn, zum Beispiel, Fontane erzählt, daß in Letschin riesige Napfkuchen verspeist werden, dann erfährt der Leser, daß es sich um Gugelhopfe bzw. Topfkuchen gehandelt habe; dagegen bleibt Steiner ihm die Erläuterung schuldig, wo Storm das Bild vomPfeil des Todes (in seinem GedichtBeginn des Endes) mit dergeläufigen, althergebrach­ten Vorstellungvom Ferntreffer Apollo rechtfertigt,der die Kinder der Niobe tödtet. Ich fürchte, daß der heutige durchschnittlich gebildete Leser mit einem Napfkuchen besser vertraut ist als mit der Ilias in Vossens Übersetzung oder mit den Metamorphosen Ovids. Doch lassen wir offene Wünsche beiseite und beschränken uns auf das, was kommentiert ist. Da freilich begegnet man manchen ungenauen, mitunter auch einfach falschen Informationen. So hat Storm sein GedichtAm 24. Dezember 1852 nicht alsWeihnachtsabend, sondern mit der ÜberschriftWeihnachtabend in die Gedichtausgaben übernommen (S. 145);Weihnachtsabend heißt ein älteres Storm-Gedicht aus demLiederbuch dreier Freunde. Mit dem Literatenblatt des Deutschen Kunstblattes (S. 153) ist das von Friedrich Eggers redigierte Literaturblatt gemeint. Eine ApothekeZum Weißen Hirsch (S. 154) hat es m. W. in Leipzig nie gegeben; die Neubertsche Hofapotheke in der Leipziger Hainstraße, in der Fontane von April 1841 bis März 1842 beschäftigt war, hießZum weißen Adler (heute Adler- Apotheke).Wolsey ist keinerzählerisches Werk Fontanes, das als Frag­ment erhalten ist (S. 162 u. ö.), sondern ganz offenkundig eine nicht voll­endete historische Erzählung. EineDeutsch-Englische Pressekonferenz (S. 169) hat Fontane wederzu gründen nochzu leiten unternommen; gemeint ist die ihm von der preußischen Regierung übertragene englisch- deutsche Korrespondenz. Die Aufzählung solcher mehr oder minder gravierender Nachlässigkeiten ließe sich fortsetzen.

Im Zusammenhang mit Fontanes Besuch in Husum im September 1864 werden zwar dessen 1884 entstandene Notizen für den ReiseberichtSom­mers am Meer zitiert (S. 174 f.), die zwanzig Jahre zuvor zu Papier gebrachten einschlägigen Tagebuchnotizen dagegen nicht einmal erwähnt. Dienicht ermittelte Anspielung in Fontanes Brief vom 17. September 1887 (es ritten sieben Ritter frei...) bezieht sich auf den Anfang der Uhland-BalladeDas traurige Turnei. Die Beschreibung der Pariser Juli- Revolution von 1830 alsAblösung Karls X. durch Louis-Philippe von Orleans (S. 154) ist zwar keine Verständshilfe für den Leser, wohl aber eine unfreiwillig-entlarvende Erläuterung des Steinerschen Geschichtsver­ständnisses. Der Kommentar zu FontanesHerwegh-Zeit hingegenDer Leipziger Verleger Robert Binder hatte einen Kreis von Literaten um sich geschart, die von Herweghs Sammlung ,Gedichte eines Lebendigen' begeistert waren und sich zu ähnlichen politischen Äußerungen hinreißen ließen gibt zugleich zu der Befürchtung Anlaß, daß Steiner nicht nur Christa Schultzes Untersuchungen zurstudentischen Progreßbewegung 1841/42 in Leipzig, sondern auch weitere Ergebnisse der neueren Fontane- Forschung platterdings nicht zur Kenntnis genommen hat.

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