auszuschreiten, indem er mit Immermanns „Oberhof“-Partien aus dem „Münchhausen“-Roman 1838/39, der quasi noch zu den Vorläufern des poetischen Realismus gehört, mit Fontanes „Irrungen Wirrungen“ 1887, das als perfekte und letztmögliche Erfüllung des Programms des poetischen Realismus gelten kann und zugleich schon dessen Grenzüberschreitung, ja Auflösung deutlich macht, und mit Kellers „Der grüne Heinrich“ 1854/55, der scheinbar als ein Prototyp des poetischen Realismus zwischen den beiden anderen Romanen steht, Werke wählt, die nicht nur zeitlich, sondern auch strukturell und inhaltlich die Grenzen dieses Begriffs nennbar machen müßten. Obwohl zwischen den einzelnen Lektüreversuchen keine „durchgehende Kohärenz“ (S. 7) angestrebt ist, stellt der schon im Titel anklingende Begriff der ,Positivität‘ ein gewisses Bindeglied dar, wenn auch nicht als durchgängiges allgemein theoretisches Problem etwa, sondern als jeweils spezifische Ausformung in konkreter Darstellung.
Bereits an der ersten Analyse über Immermanns „Oberhof“ offenbart sich noch eine andere Problematik des methodischen Verfahrens M.s. Durch die exakt versuchte und damit breiten Raum einnehmende Detailanalyse ist M. schon aus rationell-ökonomischen Gründen gezwungen, eine Auswahl von Themen, Figurenkonstellationen und Motiven zu treffen, wobei noch eine weitere Verknappung auf einzelne Textstellen vorgenommen werden muß. So wählt M. aus dem umfangreichen „Münchhausen“-Roman den „Ober- hof“-Teil aus, da er sich zur Untersuchung des Problems der Positivität besonders eigne, Positivität in „Sinn- und Vorbildhaftigkeit ... geradewegs als Thema auf verschiedenen Terrains ausgetragen“ (S. 8) wird. Er kann aber dabei auch nur zwei Teilbereiche näher untersuchen, nämlich die Darstellung der Welt des Hofschulzen und die Liebesbeziehung zwischen Liesbeth und Oswald. Sehr gut gelingt es M., anhand der Gestaltung der Sphäre der Arbeit, des Besitzes und der Herrschaft (Herr-Knecht-Verhält- nis) des Hofschulzen die Positiv-Verklärung dieser Bereiche durch Immermann nachzuweisen. Es wird deutlich gemacht, daß dies Immermann nur in einer zeitlich und räumlich beschränkten Repräsentanz des Dargestellten und durch Erzeugung von „scheinhafter Stimmung“ (S. 20) möglich ist und die Hofschulzenwelt sich trotz allen positiven Scheins als eine von inneren Widersprüchen (Herr-Knecht-Verhältnis; Schwert Karls des Großen u. a.) und äußeren Störungen (Oswald und Liesbeth) gebrochene erweist. Folgerichtig schließt M., daß nicht so sehr die „Welthaltung“ des Schulzen, sondern „derZerfall dieser Haltung“ (S. 22) das eigentliche Thema dieser Romanpartie ist.
In ähnlicher Weise wird von M. die Liebesbeziehung zwischen Liesbeth und Oswald gelesen. Gegen das wohl eindeutige Anliegen Immermanns, einen positiven menschlichen Wert zu manifestieren, erweist sich die Liebe in M.s Analyse als in sich brüchig, von Zweideutigkeiten und Widersprüchen gekennzeichnet und bedroht. Wenn dann im Laufe der Handlung die Liebe beider aus ihrer Unmittelbarkeit, das heißt Zufälligkeit und konkretem Erlebnisbereich als einzig realer Erfüllungsmöglichkeit heraustritt und zu einem scheinbar Notwendigen, bis zur Hybris gesteigerten Liebeshymnus wird, hebt sie sich trotz aller Beteuerungen der Figuren
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