Und wie lehrreich für mich! Dieser fürstliche Glanz und dieser reiche, arme, fast erblindete Mann!
Vor einigen Tagen waren wir bei dem Buchhändler Hertz mit Paul Heyses jüngster Tochter, Clara, zusammen; auch da erwachten Jugenderinnerungen, denn sie sieht doch ihrer Mutter außerordentlich ähnlich und scheint ganz das frische, natürliche Wesen derselben geerbt zu haben; von dem außerordentlien Charme, den Lulu hatte, hat sie meinem Gefühl nach weniger. Aber das sind erste Eindrücke, die oft Recht haben, oft aber auch nicht.
Der vorgestrige Morgen, der uns Ihres teuren Gemahls Brief und Ihre so liebevollen Zeilen brachte, war ein sehr schöner, und wir danken Ihnen aus vollem Herzen dafür. Manches darin war gleichsam noch eine Fortsetzung des erhebenden Nachrufs an Auerbachs Sarge. Ich war zufällig Ohrenzeuge, wie Auerbach nach der Rede, die Ihr Gemahl unserm Lucae gehalten hatte, ihn um die gleiche Gunst bat. Wir sehen mit Spannung dem Aufsatz in „Nord und Süd“ entgegen und wollen versuchen, die Briefe fl. d. „Wiener Allg. Z.“ uns zu verschaffen; mir ist immer, als hätten Freunde ein natürliches Anrecht, sich an dem Geiste des Freundes zu erlaben, u. ich gestehe, ich neide jeden Fremden, der da sagen kann: das kenne ich von Lazarus — und mir ist’s unbekannt. Nun muß ich aber wieder zu den hiesigen Freunden zurückkehren. Unser Metastasio macht uns Sorge, u. jedes Wiedersehn mit ihm ist eine erhöhte Freude. Der Senator lebt ganz seinem Kinde, er hegt und pflegt es wie eine Mutter, und man kann nur bitten: daß Gott es ihm erhalte. Zöllners sind frisch und tatenkräftig in Gesellschaften-Besuchen, das Töchterchen zu vollem Reiz erblüht, der Sohn gekräftigt als Soldat, man hat seine Freude an den vier lieben Menschen. Könnte ich doch dasselbe von meiner lieben Frau Krigar sagen; den Willen hat sie w r ohl, aber keine Kraft mehr zum Vollbringen. Ihre Seele ist krank u. ihr Auge erblindet in der langen Zeit ihrer traurigen Ehe; mir tut das Herz weh, wenn ich sie ringen sehe, und oft weiß ich nicht, wer mir am leidesten tut, sie, die Kinder oder — unser Menzel. Jedenfalls benimmt er sich wie ein Held in dieser seiner häuslichen Misere. Das sind wohl alle, ach nein, Heydens habe ich noch nicht erwähnt. Wir sehen uns seltener, jeder ist mit der Zeit in andre Kreise gekommen, aber ich hoffe, unsre gegenseitige Zuneigung ist dieselbe geblieben, für mich kann ich bürgen.
Und nun ist’s wohl über und über genug; aber Sie haben so oft meine Plauderei gütigst über sich ergehen lassen, daß ich auch heut nicht fürchte, daß es Ihnen zu viel geworden. Noch die besten Grüße meines Mannes, der seines Kritikeramtes im Theater wartet, und die Bitte: freundlichst zu gedenken Ihrer Sie verehrenden
Emilie Fontane
Erläuterungen
Die beiden ersten Briefe sind während der „Kriegsgefangenschaft“ Theodor Fontanes geschrieben.
Fontane war am 5. Oktober 1870 als angeblicher Spion in französische Gefangenschaft geraten, als er auf einer Reise durch Frankreich, wo er die
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