schaftszustand zur Rechtsungleichheit dai'gestellt wird, worauf sich dann die Forderung einer Wiederherstellung der Rechtsgleichheit begründet.
Dieser von Rousseau formulierte Programmpunkt wurde bekanntlich im achtzehnten Jahrhundert zweimal zum Gesetz erhoben, nämlich in der amerikanischen und in der französischen Revolution, um dann viel später, auch in der deutschen, leider nicht angewendeten Verfassung von 1849 unter die Grundrechte aufgenommen zu werden. Fontane bezieht sich ausdrücklich auf dieses revolutionäre Erbteil aus Frankreich, als er in seinem Erstlingsroman Vor dem Sturm, der 1813 spielt, den adligen Grundbesitzer und General Bamme eine Äußerung tun läßt, in der die Devise „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ skeptisch und kritisch analysiert wird; 3 Bamme sagt: „Ich mache mir nichts aus diesen Windbeuteln von Franzosen, aber in all ihrem dummen Zeug steckt immer eine Prise Wahrheit. Mit ihrer Brüderlichkeit wird es nicht viel werden und mit der Freiheit auch nicht; aber mit dem, was sie dazwischen gestellt haben, hat es etwas auf sich. Denn was heißt es am Ende anders als: Mensch ist Mensch.“ 4
Neben diesen wenigstens bis zu einem gewissen Punkt positiven Bemerkungen über die französische Revolution, die hier als beispielhaft angeführt wurden, finden sich bei Fontane auch Sätze, die geradezu einer Verdammung gleichkommen, so zum Beispiel die 1871 aufgestellte Definition des revolutionären Wahlspruchs als einer „Lügentrinität“.'’ Wie erklärt sich dieser Widerspruch? Ganz einfach daraus, darf man wohl annehmen, daß Fontane sich in jener langen Lebensperiode, in der u. a. sein Marwitz- Aufsatz, seine Frankreich-Bücher und sein erster Roman geschrieben wurden, mit sich selbst im Widerspruch befand. Zwischen dem Zusarm menbruch seiner achtundvierziger Hoffnungen einerseits und der späten Erkenntnis von der Notwendigkeit sozialer Umwälzungen anderseits liegen die Jahrzehnte eines Denkprozesses und einer inneren Wandlung, in denen der Dichter bei der Beurteilung der französischen Revolution mehrmals schwankt.
Der innere Widerspruch scheint darin zu liegen, daß Fontane die zwielichtigen Aspekte der preußischen Erhebung von 1813 zwar empfunden, aber nicht sehr deutlich herausgestellt hat. Der insurrektioneile Charakter der Bewegung wird klar erkannt und als solcher in Vor dem Sturm immerhin, wenn auch unhistorisch, dargestellt. Die Bedeutung der französischen Revolution als Vorbild für jeden Volksaufstand wird keineswegs geleugnet; man erinnere sich des Ausdrucks „Westwind“ im Kapitel 81. Diesem Westwind ist es zu verdanken, daß auch im geschlagenen und teilweise besetzten Preußen, wie zwanzig Jahre zuvor im überfallenen und teilweise besetzten Frankreich, eine Nation in Waffen entstehen konnte. Ohne revolutionäre Gesinnung konnte also keine patriotische Begeisterung entstehen. Daß 1815 trotz revolutionärer Gesinnung und trotz patriotischer Begeisterung in Preußen schließlich ein Regime wieder im Sattel saß, welches die Errungenschaft der rechtlichen Gleichheit rückgängig gemacht hat, dieser historische Rückschritt war zwar dem Achtundvierziger Fontane voll bewußt geworden, wurde aber dann, in den
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