Heft 
(1983) 35
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sich zeigen, daß auch diesmal Leitmotive aus dem Zeitalter der großen Umwälzungen des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts wiederauf­genommen und weitergeführt werden sollten, ein Umstand, der Fontane keineswegs entgangen ist. Er hat bekanntlich die Monate Oktober und November 1870 als Kriegsgefangener in Frankreich verbracht und dann, vom 10. April zum 13. Mai 1871, die von deutschen Truppen besetzten Gebiete, West-, Nord- und Ostfrankreichs bereist. 1 "' Vier Kriegsbücher sind die Früchte dieser seiner Fahrten durch Frankreich. Dazu darf man zwei 1877 verfaßte Artikel über Gambetta zählen; 17 darin läßt sich der bei Fon­tane deutlich empfundene Zusammenhang zwischen der großen Revolution und dem Jahre 1870 bezeugen.

Leon Gambetta, einer der Oppositionsführer im Kaiserreich Napoleons III., hatte maßgeblichen Anteil an der Proklamation der Dritten französischen Republik am 4. September 1870. Als Kriegsminister übernahm er die Aufgabe, den umzingelten Regierungssitz Paris im Ballon zu verlassen und von Tours aus ganze Armeen aus dem Boden zu stampfen, um den deutschen Belagerungsring zu sprengen. In ihm verkörperte sich der Geist des patriotischen Widerstandes gegen die Invasoren.

Die verzweifelte Lage Frankreichs 187071 entsprach in ihren großen Zügen den Umständen des Jahres 179293, als preußische und österrei­chische Truppen von Osten und Norden einmarschierten, um Paris zu nehmen und zu zerstören. Trotz des Erfolges von Valmy (20. September 1792) blieb die Bedrohung so stark, daß der Nationalkonvent (das Parla­ment der ersten Republik) im August 1793 die Levee en masse (Massen­aufgebot) anordnete, wodurch sämtlich diensttauglichen Männer des Lan­des unter die Fahnen gerufen wurden. Die Folgen dieser Maßnahmen waren bedeutend. Die englisch-preußisch-österreichische Koalition verlor nacheinander die besetzten Gebiete (Toulon, das Elsaß) und mußte den Heeren der Republik Belgien, Holland und das linke Rheinufer überlassen. Gambetta dachte an diesen ersten Revolutionskrieg zurück, als er seiner­seits das Massenaufgebot anordnete. Doch im Jahre 1870 war an große Siege nicht zu denken. Allerdings schien es einen Augenblick lang, als könnten die Deutschen zurückgedrängt werden; bei Orleans wurden sie von der Loire-Armee am 9. November geworfen. Doch weitere Erfolge blieben aus; die Gegner widerstanden allen Angriffen und Ausfällen. Soweit die Tatsachen. Fontane hat 1877 in seinem Gambetta-Essay daraus geschlossen, daß der endgültige Sieg der deutschen Heere nicht irgend­einer preußischen Überlegenheit, sonderndem Zufall zu verdanken sei. Schon zuvor, im Jahre 1875, hatte erdas Schicksal als Grund der fran­zösischen Niederlage angegeben. 18 Im Gambetta-Essay geht er so weit, dem während der französischen Revolution konzipierten Begriff der Levee en masse gegenüber derpreußischen Disziplin den Vorrang zu geben. 111 Damit hebt sich Fontanes Ansicht wohltuend ab von der chauvinistischen Denkart der Reichsgründungsjahre.

1870 war für das französische Volk das Jahr der Niederlagen, infolge strategischer Unfähigkeit (Marschall Mac Mahon) oder infolge von Feigheit und Verrat (Marschall Bazaine). Es war die Zeit der enttäuschten Hoff-

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