nungen im Volkskrieg der Republik. 1871 war das Jahr des Zusammenbruchs, der Verstümmelung Frankreichs und des Bürgerkrieges. Ein Vergleich zwischen 1789 und 1871 mußte sich auch diesmal dem Reporter Fontane aufdrängen.
Schon Ende 1870, bei Formulierung des Gegensatzes zwischen der „ehrlichen“ Revolution von 1789 und der von ihm mißbilligten „jüngsten Phase der französischen Entwicklung“ scheint Fontane den Bürgerkrieg vorauszuahnen, dessen Augenzeuge er im April 1871 werden sollte; 20 er geht dabei so weit, sich auf die Meinung Napoleons III. zu stützen, der über 1848 (im Gegensatz zu 1789!) ausgesagt hatte, eine auf Irrtum beruhende Revolution bringe keinen Fortschritt, sondern „Lärm und Tränen“. Nun, nach Fontanes Ansicht sind die zwischen Oktober 1870 und Januar 1871 sowohl in Paris als auch in mehreren großen Provinzstädten ausgebrochenen Aufstände, und vor allem die große Pariser Insurrektion vom 18. März 1871, als gefährliche Irrtümer zu werten. Wie erklärt sich diese negative Stellungnahme eines keineswegs beschränkten, sondern von Weltgeist erfüllten Schriftstellers gegenüber der Pariser Commune? Auch zu diesem Punkt soll 1789 als Vergleich herangezogen werden.
Goethe, Zeitgenosse und 1792, als Schlachtenbummler in Frankreich, Augenzeuge der großen Umwälzung, hat seiner Angst vor dem Neuen Ausdruck gegeben, indem er sagte, die französische Revolution habe ihn „um ein Haar“ sein Talent gekostet. In einem Vers aus jener Zeit erklärte er die Ursache seiner Unruhe. Er schrieb „Franztum drängt, in diesen verworrenen Tagen, (.. .) ruhige Bildung zurück“. 21
Ganz ähnlich reagierte Fontane 1871. Auch er hatte Angst vor dem Umsturz, den er mit dem Feldstecher aus nächster Nähe beobachten konnte. 22 Auch er sieht in der Insurrektion der Commune, wie einst Goethe in der französischen Revolution, einen Bruch mit der bestehenden Kultur, mit der geistigen Tradition. Er drückt dieses Gefühl aus, indem er das leuchtende, in der klassischen Dichtung (bei Schiller!) verklärte Rot des alten französischen Königsbanners vergleicht mit dem schmutzigen „Massenrot“ der Communarden-Fahne. 23
Daß die Commune blutig unterdrückt wurde, findet Fontane ganz in Ordnung. „Die Massenfüsilladen, die Einkerkerungen und Transportationen (= Deportationen), die dem roten Aufstand folgten“, mußten sich, seiner Meinung nach, ereignen, denn „Tollheitsausbrüche, sobald die Macht wieder Macht wird, sind immer in derselben Weise gezügelt worden und mit Recht.“ 24
Fontane täuschte sich, als er annahm, die Pariser Commune bedeute einen Bruch mit der historischen Vergangenheit. Er vergaß oder bestritt, daß es seit 1789 in Frankreich auch eine revolutionäre Tradition gab, in welche sich 1871 die zweite Commune als Nachfolgerin der ersten Commune einfügte. Das Pariser Volk, je nach Stadtvierteln in bewaffnete „Sections“ organisiert, hatte 1792 seine Kommunalverwaltung gewählt und konnte durch diese Instanz einen im revolutionären Sinne wirkenden Druck auf die Zentralgewalt, besonders auf den Nationalkonvent ausüben.
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