Heft 
(1983) 35
Seite
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Gedicht vor Augen, als er das Odfeld beschrieb?) In den Brennpunkt rückt dann aber eine weibliche Gestalt, auch in keiner Weise das Heroische ver­tretend, sondern das Menschliche: ein Opfer auch sie, die frühere Mätresse König Harolds, verlassen und vergessen wohl an die sechzehn Jahr schon. Man hieß sie Edith Schwanenhals, heißt es ausdrücklich im Praeteritum in den Worten des Abts:

Weil wie der Hals der Schwäne Ihr Nacken war; der König Harold,

Er liebte die junge Schöne.

Jetzt aber ist sie ein armes Weib, wohnend in einer dürftigen Hütte, aus der die Mönche sie holen, damit sie die Leiche des Königs finde.

Keine Heldenballade ist dieses Gedicht, auch kein Liebesgedicht wie etwa eins aus dem Buch der Lieder, das über frustrierte oder desillusionierte Liebe klagt. Verhalten wird hier von der Stärke einer Liebe erzählt, der es gelang, den toten König unter den Tausenden von Leichen zu erkennen:

Gefunden hat Edith Schwanenhals Des toten Königs Leiche.

Sie sprach kein Wort, sie weinte nicht,

Sie küßte das Antlitz, das bleiche.

Heines Vorlage, die er im Romanzero in seinen Noten im französischen Original abdruckt, waren nur wenige Zeilen in Auguste ThierryslHistoire de la conquete de lAngleterre par les Normands, aus denen Heine eine lange Ballade macht, der er einen sehr modernen Stempel aufdrückt. Auch Fontanes eigener Ballade Hastingsfeld. 14. Oktober 1066 (nach dem Alt- englischen), von deren sieben Strophen er fünf in seinem Essay von 1853/54 übernimmt, fehlt jegliches Heroische sie hat die Knappheit der alten Volksballade Andeutung und Hinweis auf den Ausgang der Schlacht: Auf die geringschätzige Auskunft seiner Kundschafter über das Heer des Normannenherzogs hat Harold nur die skeptischen Worte:

... Ich weiß, sie fechten wie wir,

Obwohl sie geschabt und geschoren.

Als Ernst von Wildenbruchs Drama Harold im Jahre 1882 uraufgeführt wurde (Fontane lehnte es in seiner Besprechung als .unwahr 1 ab), da konnte er es sich nicht versagen, noch einmal das Thema der Hastings­schlacht zu behandeln, aber sein in der Vossischen Zeitung im Mai 1882 erschiener Artikel Hastings und Hastingsfeld. Erinnerungen an England bei Gelegenheit von Ernst von Wildenbruchs ,Harold, ist eine nur leicht veränderte Zusammenstellung seiner beiden Essays Hastingsfeld und Waltham-Abbey. Nur in dem Teil, der Waltham-Abbey behandelt, wird die nachhaltige Wirkung von Heines Gedicht noch deutlicher, denn er beginnt den Abschnitt mit einem Motto daraus (Sie trugen ihn nach Waltham- Abtei, daß man ihn dort begrübe), und diesmal werden weitere fünf Strophen daraus zitiert. Es ist kein Zweifel, daß die Anekdote, in der die Gestalt Edith Schwanenhals im Mittelpunkt steht, durch ihren poetischen Wahrheitsgehalt und die dichterische Gestaltung Heines von dem ganzen Sagenkreis der Hastingsschlacht den nachhaltigsten Eindruck auf Fontane

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