teren Lehrern, Wissenschaftlern und Schriftstellern, als „Pflegevater“ der russischen Literatur in Deutschland galt. Varnhagen vermerkte Viederts Besuch in seinem Tagebuch am 14. Oktober mit den Worten: „Besuch von Herrn August von Viedert aus Moskau, er kommt aus Leipzig und bringt mir Grüße und ein Buch von Herrn Wolfsohn. Ausführliches Gespräch über russische Literatur, er kennt Granoffski, der in Moskau gedeihliche Geschichtsvorträge hält, Schewüreff, Katkoff, der in Moskau die dortige Zeitung herausgibt, Jefremoff, Iwan Turgenieff — seit anderhalb Jahren auf sein Landgut verwiesen .. 12 Viedert seinerseits berichtete
über diese Begegnung am 14. Oktober 1853 in einer Korrespondenz für die Zeitung „Moskovskie vedomosti“, die damals der in Varnhagens Tagebucheintragung erwähnte M. N. Katkov herausgab. Viedert bestätigt Varnhagens Interesse an den einstigen russischen Freunden; er schreibt: „Ich machte noch einige Besuche, unter anderm war ich bei Varnhagen von Ense, dessen Name nicht nur in Deutschland, sondern auch in Rußland bekannt ist. Der fast siebzigjährige Greis nahm mich wohlwollend auf, obwohl ich von früher her nicht mit ihm bekannt war [...] Er ist so frisch, daß er nicht älter als 45 Jahre wirkt. Ich war sehr bewegt von seinem freundlichen Äußeren, dem Druck seiner Hand und seiner sanften, warmen Stimme. Er gehört nicht zu jenen Alten, die ruhig ihr Ende abwarten [...] Im Gegenteil, sein ganzes Wesen atmet Leben, frisches, frohgemutes Leben. Mit welcher Anteilnahme fragte er mich nach seinen russischen Bekannten, die im Jahre 1845 [in Wirklichkeit zwischen 1838 und 1842 — Ch. Sch.] zum Studium nach Berlin kamen und wie freute er sich, von mir gute Nachrichten über sie zu hören [...] Ich verbrachte drei Stunden bei ihm und merkte nicht, wie die Zeit verging.“ 13
Es ist notwendig, Viederts Bekanntschaft mit Varnhagen hervorzuheben, um den überraschend schnellen Anschluß zu verstehen, den er ein halbes Jahr später, als er Mitte April 1854 wieder in Berlin auftauchte, an Fontane fand. Es ist wenig wahrscheinlich, daß Viedert an seinem letzten Tag in Berlin im Jahre 1853, am 14. Oktober, Wolfsohns Jugendfreund aufgesucht hat. Falls doch, kann es sich nur um eine kurze Begegnung gehandelt haben, denn gerade an diesem 14. Oktober kam Fontanes dritter Sohn Peter Paul (der kleine „Unterirdische“, der schon Anfang April 1954 wieder starb) zur Welt. Auch fällt auf diesen Tag die vorläufige Beendigung von Fontanes Tätigkeit beim Literarischen Kabinett, was seine ohnehin finanziell äußerst schwierige Lage wieder völlig ungewiß werden ließ. Allerdings taucht in Fontanes Korrespondenz Viederts Name gleich nach dessen Rückkehr 1854 nach Berlin im Brief an Lepel vom 22. April in einer Form auf, als handle es sich bei Viedert um keinen gänzlich Unbekannten, heißt es doch: „Morgen frißt mir Storm den Vormittag weg; vor dem Tunnel empfang ich Herrn August von Viedert, der mich gebeten hat, ihn einzuführen. Er wird ein Lustspiel ,Der Revisor 1 aus dem Russischen des Gogol (sehr berühmt) vorlesen.“ 14
Die Entstehung der Bekanntschaft zwischen Viedert und Fontane, einer Bekanntschaft, die Fontane in seinen Erinnerungen nicht erwähnt und die nur durch diese Briefstelle und Fontanes „Tunnel“-Protokolle dokumen-
306