Heft 
(1983) 35
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visor 1 vor einem gewählten Publikum im Saale des ,Hotel de Russie vor. Der Erfolg war ein durchaus günstiger und die mehrmals bis zu herz­lichem Lachen gesteigerte Heiterkeit der Versammlung begleitete die Vor­lesung von Anfang bis Ende. Wie wir vernehmen, gedenkt Herr von Vie- dert das Gogolsche Stück noch einmal zum Vortrag zu bringen und möch­ten wir für diesen Fall alle Gebildeten auf eine Arbeit aufmerksam ge­macht haben, die neben ihren literarischen Vorzügen auch den Reiz bietet, eine für unsere Zeit doppelt interessante Schilderung russischen Lebens und russischer Zustände zu sein. 34

Der Frage ist nachzugehen: Wie eng waren die Beziehungen zwischen Fontane und Viedert, der in den Erinnerungen des deutschen Schriftstel­lers kein einziges Mal erwähnt wird? Fontane war erst am 19. April 1854 aus Letschin im Oderbruch, wo er sich nach dem Tod des kleinenUnter­irdischen Erholung erhofft hatte, nach Berlin zurückgekehrt. Viederts Ankunft in Berlin ist wie schon erwähnt mit Mitte April 1854 anzu­setzen. Am 21. April, einen Tag vor seinem Brief an Lepel, in dem er die bevorstehende Einführung Viederts in denTunnel mitteilt, wußte er spätestens von diesem Vorhaben. Schließt man aus, daß Fontane und Vie­dert sich schon während oder am Schluß von Viederts erstem Deutsch­landaufenthalt kennengelernt haben, kann dies nur am 19., 20. oder 21. April 1854 geschehen sein. Von nun an ist ihr Lebensweg für andert­halb Monate eng verbunden. An den beiden derRevisor-Lesung folgen­den Sonntagen, am 30. April und am 7. Mai besuchen sie gemeinsam den Tunnel ; die Protokolle über Viederts Lesung von Gedichten Kolcovs und einer Erzählung Puschkins sind wieder von Fontanes Hand verfaßt. 25 Eine Korrespondenz Viederts in denMoskovskie vedomosti, in der er davon berichtet, daß er bei Fontane wohnt, ist vom 1. Juni 1854 datiert. Es heißt dort:Mein liebenswürdiger Gastgeber ruft mich zum Kaffee. Ich wohne bei dem jungen Literaten Theodor Fontane, der in Deutschland durch das Gedicht ,Von der schönen Rosamunde 1 bekannt geworden ist, ferner durch die Herausgabe eines belletristischen Almanaehs ,Argo und anderer Veröffentlichungen. In Kürze wird sein Werk über England her­auskommen .. , m Der Beginn dieser Gastfreundschaft Fontanes kann mit Ende April angesetzt werden. Vermutlich hatte Viedert daschambre garnie inne, das gelegentlich die Haushaltskasse der Familie Fontane aufbessern sollte. Den ganzen Monat Mai haben Fontane und Viedert wahrscheinlich miteinander gelebt, zumindest aber häufigen Umgang ge­habt. Davon zeugen nicht nur die gemeinsamenTunnel-Besuche, son­dern auch der Briefwechsel zwischen Theodor Storm und Friedrich Eggers, die beide an dem von Fontane herausgegebenen, von Viedert in seiner Korrespondenz erwähnten JahrbuchArgo mitwirkten. Am 27. Mai 1854 bat Storm von Potsdam aus Eggers:Wollen Sie nicht Herrn von Viedert um meine Gedichte, die er mir entliehen, bitten und sie mir verwahren. Eggers antwortete darauf zwei Tage später, am 29. Mai:Viedert will ich schon pressen. Es bestätigt sich also nicht, daß er in Potsdam sein Lust­spiel lieset? Er läßt es jetzt drucken. 27 .

Fontanes Gastfreundschaft, von der Viedert in seiner Korrespondenz vom 1. Juni den Moskauer Lesern berichtete, kann nicht länger als bis zum

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