Heft 
(1983) 35
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10. Juni gedauert haben. An diesem Tage fuhr Fontane auf das Gut seines Freundes Scherz in Kränzlin. Viedert finden wir am 11. Juni 1854 in Karlsbad, wo ihm die beabsichtigte Lesung desRevisor wegen der an­gespannten Situation, die der Krieg zwischen Rußland einerseits und der von England und Frankreich unterstützten Türkei andererseits hervor­gerufen hatte, vom Polizeikommissariat untersagt wurde, weildadurch nur dem Kurpublikum Gelegenheit geboten wäre, über Rußland ihre Be­merkungen zu machen. 28 Der Kontakt Viederts zu Fontane blieb jedoch einstweilen erhalten. Nach seinen mißglückten Versuchen, in Karlsbad und Bad Ems denRevisor öffentlich zu lesen, kehrte Viedert nach Berlin zurück und ließ sich Ende Juli aller Geldmittel bar in der heute noch bestehenden Kolonie Alexandrowka bei Potsdam bei Nikolai Schischkoff nieder. 211 Hier erkrankte er an einem Fieber, verkehrte jedoch weiterhin mit dem nicht weit entfernt wohnenden Theodor Storm, den er ja spä­testens am 23. April 1854 bei seinerRevisor-Lesung imTunnel ken­nengelernt hatte und der ihm in diesem Sommer in Heinrich Schindler einen Verleger für seine Übersetzung von TurgenevsJägerskizzen ver­schaffte. Anfang September 1854 schrieb Storm aus Potsdam an Fontane über Viedert:Ich habe ihm Teilnahme, namentlich für seine Arbeiten bewiesen; nun ist er fleißig und zeigt mir alles, und ist dabei von einer kindlichen Bescheidenheit. Viel sehe ich ihn freilich nicht, da ich keine Zeit habe. Er hat jetzt das Tagebuch eines Verrückten von Gogol über­setzt.® Im selben Brief erinnert Storm Fontane im Aufträge Viederts daran, diesem das versprochene Exemplar vonEin Sommer in London zurückzuhalten, das Viedert ja schon am 1. Juni alsWerk über England seinen Moskauer Lesern angekündigt hatte. Storm empfiehlt, sich im Aus­tausch dafür den bald darauf im Oktober erscheinenden 1. Band von TurgenevsJägerskizzen geben zu lassen. Im September 1854 hielt sich auch Wolfsohn bei Fontane auf 31 ; es ist anzunehmen, daß er Viedert be­gegnet ist und daß es eine Dreisamkeit Fontane Wolfsohn Viedert gegeben hat. Gleichzeitige Besuche Fontanes und Viederts imTunnel sind für den 1. Oktober und 3. Dezember 1854 nachgewiesen. Das Stiftungs­fest am 3. Dezember nahm Viedert zum Anlaß, in seinem Bericht für die Peterburgskie vedomosti (Petersburger Nachrichten) diesem literarischen Verein eine Spalte seines Feuilletons zu widmen. Er schrieb u. a.Im Ber­liner ,Tunnel* wird eine große Ordnung beobachtet. Es gibt Häupter, einen Sekretär, Kassierer, Bibliothekar, Archivar und andere Ämter, die jährlich wechseln. Gestern mußte der Sekretär der Gesellschaft Rechenschaft ab- legen, welche und wieviele poetische Werke im vergangenen Jahr im .Tunnel* aufgetaucht sind. Die Aufzählung aller lyrischen und epischen Werke war endlos; nur ein dramatisches gab es, und zwar die deutsche Übersetzung des .Revisor*. 32

Für das Jahr 1855, das Viedert in Berlin verbrachte, sind keine Berüh­rungspunkte zwischen ihm und Fontane überliefert. Dieser ging im Sep­tember 1855 (bis 1857) nach England und wurde dadurch wenn auch nicht privaten Nöten so doch der politischen Öde Preußens enthoben. Viedert hielt sich noch ein weiteres Jahr in Berlin auf, ohne unter den damaligen Bedingungen seine publizistischen Vorhaben, nämlich die Her-

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