ausgabe des zweiten Teils von Turgenevs „Aus dem Tagebuche eines Jägers“, von ausgewählten Werken Gogols und russischen Liedern A. Kol’covs verwirklichen zu können. Auch als sich Fontane von London aus zu kurzem Zwischenaufenthalt vom 30. VIII. bis 4. X. 1856 in Berlin aufhielt, scheint es zu keiner Begegnung gekommen zu sein. 33 Im Oktober 1856 verließ dann auch Viedert Berlin, um sich für immer in Rußland niederzulassen. Schon am 21./9. November 1856 legte er an der Petersburger Universität ein Examen als Hauslehrer der deutschen Sprache ab, am 17./5. Februar 1857 ein zweites als Lehrer der deutschen Sprache an Gymnasien. Die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft am 11. Juni/ 30. Mai 1857 34 verschaffte ihm 1858 die erste Anstellung an einem Moskauer Gymnasium, der Lehrtätigkeiten an der Char’kover (1864) und Petersburger (1875) Universität folgten. Viedert veröffentlichte in der russischen Presse bis zum Beginn der sechziger Jahre noch mehrere Artikel über deutsche Literatur, u. a. über Heinrich Heine, Lessing, B. Auerbach, Bettina von Arnim, Eichendorff und Gustav Freytag. Später ging er ganz im Staatsdienst auf; ab 1877 arbeitete er auch als Gutachter von Büchern für das Ministerium für Volksbildung. Bei seinem Tode am 15./3. Mai 1888 waren drei der fünf hinterlassenen Söhne unmündig.
Die mangelhaften Kenntnisse über Viederts frühe Lebensjahre sind Resultat der völligen Einbürgerung Viederts in Rußland. Als Beamter im Staatsdienst, der für eine große Familie zu sorgen hatte, war er selbst wenig daran interessiert, bei offiziellen Angaben seine Herkunft und seine Kindheitsjahre exakt darzulegen.
Für Fontane bedeutete die Begegnung mit dem jungen Deutsch-Russen Festigung seiner Kenntnisse über die russische Literatur, nicht zuletzt Gogols. Es ist kein Zufall, daß Fontane, als er Anfang der siebziger Jahre in einem Artikel „Kritische Wanderungen in Ost und West“ neben Alexis, Andersen, Th. Moore und Bret Harte über „Gogol, Tolstoi und Turgenjew“ zu schreiben gedachte, Gogol an erster Stelle nennt. Dieser war ihm — fast zwanzig Jahre zuvor — durch Viedert eindringlich als Begründer des russischen Realismus nahegebracht worden. Es ist zu begrüßen, daß die Veröffentlichung des wichtigsten Zeugnisses dieses Geschehens, des von Fontane verfaßten Protokolls der „Tunnel“-Sitzung vom 23. April 1854, jetzt in einer Buchausgabe des Auf bau-Verlages 35 einem breiten Leserkreis die Möglichkeit gibt, diese — Fontanes Beschäftigung mit der russischen Literatur betreffenden — Zusammenhänge kennenzulernen.
Anmerkungen
1 Vgl. K. E. Laage, Der Turgenev-Ubersetzer August von Viedert und Theodor Storm. In: Die Welt der Slaven, München 1978, S. 360-370.
2 Deutsch in: M. P. Alekseev, Zur Geschichte russisch-europSiseher Literaturtraditionen, Berlin 1974, S. 300-336 und S. 260-280.
3 Vgl. z. B. Theodor Fontane. Von Dreißig bis Achtzig. Sein Leben in seinen Briefen. Hrsg, von H.-H. Reuter, Leipzig 1959, S. 265; Theodor Fontane, Briefe I. Hrsg, von K. Schreinert. Zu Ende geführt und mit einem Nachwort versehen von Ch. Jolles, Berlin 1968, S. 154 (zit. als Briefe I).
4 Vgl. L. R. Eliason, A Nineteenth-Century Solution to the Problem of the gene- rations — Turgenev and Theodor Fontane. In: Germano-Slavica. A Canadian Journal of Germanic and Slavic comparative studies, Waterloo (Ontario). Fall
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