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Deutsche Roman-Bibliothek.
die verschiedenen Gemüsegattungen, untermischt mit Spargelbohnen, blauem Kohl, grünen Erbsen, Schwämmen, schwarzem Holler, Preiselbeeren, Zwiebelkränzen, Paradiesäpfeln, je nachdem sie die Jahreszeit bietet, steigen in sanft abgetöntem Grün bis zur obersten Stufe des Grünzeugregals empor, gekrönt von riesigen Wassermelonen und Kürbissen, und flankirt von Erdäpfelpyramiden, Rüben- und Gurkenbergen. Je höher nun solch' ein „Standl" aufragt, je frischer und üppiger das Grün die zwischen den Gemüsebergen lustwandelnden Hausfrauen und Küchennymphen lockt, desto stolzer und selbstzufriedener blickt die Besitzerin dieser Schätze. Das ist aber auch keine kleine Arbeit; von der frühesten Morgenstunde hat sie schon emsig gewaltet, geordnet und wieder zerstört, bis Alles an seinem Platze, bis die Farbenharmonie nichts zn wünschen übrig läßt, bis die Ranmausnützung eine vollständige ist.
Wenn du dich einmal in froher Gesellschaft bei einem Glase Sekt verplaudert Haft, lieber Fremdling, und du suchst in frühester Morgenstunde dein Hotel auf, so wirst du in den sonst einsamen Straßen auf ganze Züge von plumpen Fuhrwerken stoßen, auf welchen vermummte, schlaftrunkene Gestalten hocken; ingleichen wirst du halbverschlafenen Weibern mit Butten und Körben begegnen. Sic Alle gehören zur Intendantur des Wiener Magens und sorgen still und emsig für seine Bedürfnisse, noch lange bevor sich das müde Wien den Schlaf aus den Augen gerieben. Meist schon am Tage vorher nach Sonnenuntergang brechen die „Krawaten" mit ihrem schwer beladenen Fuhrwerk auf und sammeln sich in langer Zeile längs der Wien und an dem großen Platze vor dem Freihause; alsbald beginnt ein geschäftiges Treiben, ein Markten und Feilschen, ein Durcheinanderlaufen, ein Aufundabladen, Lachen und Schimpfen, das mit dem fortschreitenden Morgen immer ärger wird.
Unter die Bauernwagen mischt sich allmälig ein Heer von Wägelchen, von lustig bellenden Hunden gezogen und von kräftigen, bärtigen Männern dirigirt; das sind die Greißler. Kurz nach Tagesanbruch kommen die ersten Küchenverwalterinnen angerückt, mit großen Körben und noch größeren: Mundwerk; sie plaudern und lachen, kosten und feilschen, grüßen Bekannte und theilen Händedrücke aus, klagen ihren „Krüutlerinncn" ihre Noth und schimpfen über ihre Frauen; und die Frauen, mit größerem oder geringerem Gefolge, das oft aus der Magd und mehreren Lehrbuben besteht, thun ein Gleiches, nur daß sie der Frau Sali oder Wabi oder Nest ihr Leid wegen der Dienstboten klagen und sie fragen, ob sie denn noch immer kein braves Mädel wüßte.
Belauschen wir eine von den vielen Gruppen, die sich in den engen Gängen zwischen den Buden und Ständen gebildet haben.
„Was, gnä' Frau," sagt die Frau Resl, die gesuchteste „Kapäunlerin" auf dem ganzen Naschmarkt, „dös Paar Hendln woll'n S' um 80 Kreuzer hab'n? Da müaßt i's rein g'stohl'n hab'n — schaun's her, wia wuzerlfctt als s' san. Was habn's denn an so krepirte Viecher, dö ausschau'n, als wia der arme Lazarus, und so zach san, das ma Heaneraug'n im Magen kriagt, wann ma's ißt."
Die Frau erwiedert, daß ihre Kathi ihr die schönsten Hühner das Paar um 80 Kreuzer bringe.
„Dös kann scho' sein," erwiedert die Frau Resl, „da müassn's aber scho' solche sein, dö die Flöh' dcrtreten hab'n." — „Kummens her, Schatzerl, an' schön' Rahm hätt' i da, — den Topfen kaufens m'r a'." — „Um 90 Kreuzer gib' i Jhnas, dö Pipi, gnä' Frau; was hätten's denn davon, wann i eini- blas', daß dö Viccherln aufgengcn, als wia in Silberer sei' Luftballon? Alsdann mach':: m'r ka G'schäft?" — „Küß d'Hand, gnä' Frau! An anders Mal! (Für sich:) Kräul' a, auf- dunnerte Gretl, fang' d'r Fliag'n, wannst kanc Hendln zahl':: kannst."
Gigantische Fässer mit Obst, welche für den Diogenes einen wahren Feenpalast abgegeben hätten, spenden ihren Inhalt freigebig in die Butten der Greißler; eine Legion von Bütteln und Körben dient dem Engrosverkauf. Fleischerbuden, Stünde mit Selcherartikeln, Geflügel, Fischen, Wildpret sorgen für die solideren Grundlagen des Magens. Die Obstftände, ehemals sehr primitiv, haben nun auch die feinsten Früchte des Orients aufgestapelt, neben Birnen, Aepfeln, Pfirsichen, Trauben gewahren wir frische, saftige Feigen, Agrumen aller Art, Mandeln, Rosinen, Malngntrauben. Der äußerste Flügel des Marktes
gegen die Hauptstraße hin ist ein blühender Blumengarten. Hier sieht man die mannigfaltigsten Topfgewächse von Stiefmütterchen, Basilikum, Reseda angefangen, welche die einsame alte Jungfer zur Ausschmückung ihres Kämmerleins kauft, bis zur keuschen Kamellie, welche für den Geburtstagstisch der Angebeteten erstanden wird, und bis zur aristokratischen Fächerpalme, dem fürnehmen Ficus oder der zierlichen Azalee, der farbenprächtigen Tulpe.
Hier wird die fürsorgliche Hausfrau durch Aug' und Ohr an jausend unbedeutende Sächelchen erinnert, welche dem Haushalte noth thun. Neben den Buden, welche echtes Kornbrod, Sparwecken und allerlei Gebäck ausbieten, hat sich ein Vogelhändler etablirt, der nicht nur mit den bunten Sängern des Waldes handelt, sondern auch alle jene Leckerbissen, welche dem Liebling daheim so wohl munden, feilbietet: Ameiseneier, Wicken, Hirse, Hanf, Hühnerdarm, Mehlwürmer und allerlei schmackhaftes Grünzeug. Auch in den „Gewölben:" des Naschmarktes setzt sich das lebhafte Treiben fort und in der Lottokollektur wird manches Körbelgeld gegen einen glückverheißenden Riskonto vertauscht. In den Winkeln, welche nicht von erbgesessenen Verkäufern okkupirt sind, haben sich „Krawatinnen" eingenistet, welche in ihrer Schwinge Geldbörsen, Kinderuhren, Spielzeug, Strumpfbänder aufgestapelt haben; daneben ein Serbe mit dem süßen „türkischen Honig", „Mandoletti", kandirten Früchten; selbst ein ambulanter Graveur, ein scharf ausgeprägter, interessanter Kopf, treibt sich mit seinem kleinen Waarenlager von „Petschirstöckeln", „Monnogrammen", „Siegelmarken" herum, sodann ein ehrwürdiges Uebcrbleibsel der seligen Bandelkramergilde, dann ein Mann mit gelehrten Vögeln, welche in ihren Schnäbeln glückbringende Nummern tragen, oder das „Horoskop" stellen, wofür manche Kochkünstlerin ein paar Kreuzer opfert, um der bangen Zweifel bezüglich ihres Deutschmeisters ledig zu werden — — 6 tntckl «pnanti.
Zwischen all' diesen Buden und Ständen drängt sich seit den frühen Morgenstunden eine bunte Menge von Frauen und Mädchen, Männern und Knaben, stoßt und wird gestoßen, feilscht und ersteht. Alle Stände kommen hier zusammen, welche gegen die Kochkunst eine größere Verpflichtung haben, als daß sie sich Mittags zun: wohlbereiteten Tische setzen: von der fürnehmen Dann, welche vom Lande hereinkommt und die eingekauften Gegenstände in ihre Equipage tragen läßt, bis zur schwergeplagten Köchin, welche für fünfzehn Gesellen kochen und von den Abfällen, den „Kelch- und Salatplätschen", noch fünf gefräßigen Lehrbuben ein Extramenü bereiten muß. — Hieher komme, o Fremdling, wenn du die echte Wienerin bei der Arbeit sehen willst. Du wirft so viel schmucke und dralle Gestalten finden, die ihre einfachen Toiletten mit unnachahmlichem Chik zu tragen wissen, du wirst in so viel reizende, blühende Gesichter blicken, du wirst neben viel Anmuth und Grazie so viel schalkhaften Humor, so trefflichen Mutterwitz kennen lernen; du wirst in: Gespräch so viel kluge und zutreffende Antworten erlauschen, daß du — ich zweifle nicht an deiner Gerechtigkeitsliebe — daheim deiner Spree-Pallas-Athene trotz alles Schmollens erklären wirst, daß die Wienerinnen nicht nur geliebt, sondern auch geheirathct zu werden verdienen.
Sollte dich aber die Lust anwandeln, das ewig Weibliche in einer seiner wunderlichsten und drolligsten Spielarten kennen zu lernen, so trotze nur dem Zorn einer dieser robusten Damen mit der männlich heiseren Stimme und den: geblümten Kopf- tüchel und du wirst deine blauen Wunder hören. — Erzählt doch die Tradition von einer der berühmtesten Vorfahrerinncn dieser Damen vom Stande, der „Maschanzger-Kathl", daß zur Kongreßzeit der Kaiser von Rußland, begierig, den Wohllaut des urwüchsigen Wiener Dialektes an der Quelle zu genießen, mit dieser „anbandelte", indem er ihre Waare nicht nur theuer, sondern auch schlecht fand. Eine Hochflut von Schimpfworten war die Antwort. Selbst als ihr ein des Weges kommender Herr, welcher den hohen Gast erkannt hatte, zuraunte, daß sie einen Kaiser vor sich habe, geiferte sie noch zu ihrer Nachbarin hinüber: „Du, Sepherl, Haft g'hört, der nothige Kerl, der Schmutzian will a Kaiser sein. Geh', setz' ihm dei' Zuaspeis'- hefen auf, daß er wenigstens a Krön' auf'n Kopf hat!"
Und nun gehab' dich wohl, lieber Fremdling. Solltest du von der Wanderung durstig geworden sein, so geh' in das Eckwirthshaus zum Hettinger, dort wirst du die Koriphäen des Fratschlerthums nach dem Mühsal des Nacht- und Tagwerkes hinter einem Glase Wein finden.
Redaktion: l)r. Edmund Zoller. — Druck und Verlag der Deutschen Verlags-Anstalt (vormals Eduard Hallberger) in Stuttgart.