Feuilleton.
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dem Verzweifelten neben sich, der ihn mit so wilder Hast weiter zog, die ganze Wahrheit zu sagen. „Der Kerl bekannte dem Schwarzrock, daß er um die nichtswürdige Geschichte gewußt habe. Ein Streit mit dem Räuber trieb ihn zum Verrath, durch den er fabelhaft viel Geld von Ihnen zu erpressen denkt."
„Gebt ihm, was er verlangt!" rief der reiche Mann außer sich, „aber er soll mir Dibbeh wiederbringen."
Der Jankee verstummte vor diesem Aufschrei tiefster Seelenpein. Doch so scharf war sein Auffassungsvermögen, daß er im nächsten Augenblick begriff, wie den leidenschaftlich Verirrten das eifersüchtige Bangen vor Dibbeh's schrankenloser Hingabe an einen andern Mann fürchterlicher martern müsse, als selbst die Angst vor ihrem gewaltsamen Tode.
„Mr. Wellesley," flüsterte er dem ihn noch immer krampfhaft Fortschleppenden zu, „raffen Sie sich auf, besteigen Sie ein Maulthier und lassen Sie uns, wie die Gefährten, die den Fliehenden nachjagen, das Mädchen ihrem teuflischen Feinde abjagen."
„Ihrem Feinde? — Die Schwärmerin schreibt
mir, daß Assad voll heiliger Liebesglut um sie als sein Weib geworben."
„Lug und Trug, Mr. Wellesley! Wir wissen es besser. Der Nichtswürdige hegt einen wüthenden Haß gegen die einstige Sklavin. Er wollte sie nur erbeuten, um sich blutig an ihr zu rächen. Abu Jschok hat's von dem Elenden selbst gehört."
„Steht es so?" rief plötzlich mit fieberhafter Energie der Beraubte, „dann nur in den Sattel, Henry, und vorwärts, mein Kind zu retten."
„Wir können beritten nur bis zum Cedernhain," rief Henry, „von dort müssen wir Fußpfade nach den Grotten einschlagen, wohin sie geflohen sind."
„Ich kenne die Höhlen," rief der Entschlossene, „ich weiß, daß ein näherer Weg dorthin schon vor dem Walde absührt, der länger reitbar ist. O, diese ganze Gegend liegt licht und deutlich vor mir, wie eine selbstentworfene Karte! Folgen Sie mir ohne Zögern, Henry; es wird Niemand von uns Beiden mit Assad Zusammentreffen."
(Schluß folgt.)
Feuilleton.
Mom Maschmarkt.
Von
V. Chiavacci.
Die „Bibliothek für Ost und West" eröffnet ihre Serie mit einem köstlich anmuthenden Büchlein: „Ans dem Kleinleben der Großstadt" (Leipzig, Engel), das bunte Bilder ans dem alten und neuen Wien zusammenstellt, welche uns so recht mitten in das Volksleben versetzen und die Typen des Bürgerthums plastisch und lebendig vor uns treten lassen. Der Verfasser, V. Chiavacci, kennt seine Leute, weiß, wie sie sprechen, und wenn er auch seine Landsleute nicht schont, er weiß, daß wir sie doch zuletzt wieder lieb haben müssen. Nur ein kleines Stück daraus mag hier folgen.
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Sind das die Zelte Kara Mustapha's, wird sich der einsame Fremde fragen, welcher dank den Bemühungen des Vereins zur Hemmung — Pardon — zur Hebung des Fremdenverkehrs gegen Vergütung der Reisespesen auf der Ringstraße herumwimmelt und dann, den rothen Bädeker in der Hand, seine vielangestaunten Schritte über die Elisabethbrücke lenkt. — Nein, theurer Fremdling, antworten wir ihm, stolz und beglückt, ein ausgewachsenes Exemplar dieser kostbaren Spezies mit dem goldenen Gefieder, die Freude und Wonne der Gastwirthe, vor uns zu sehen — nein, theurer Fremdling, das ist der sogenannte Wiener Naschmarkt. Wenn du deinem ergebensten Diener gestattest, so wird er dich auf deinem Rundgang begleiten und als getreuer Cicerone dir jede gewünschte Auskunft geben.
Bevor du dich über die monumentale Elisabethbrücke mit den steinernen Zeugen von Wiens Größe wagst, wolle freund- lichst eine kurze Zweikreuzercigarre anzünden nach dem Grundsätze: siiniljg, similiüus euraniur; denn die romantischen Ufer der Wien umsäumen eine Spielart des vielberüchtigten Mahmudiehkanals, und wenn just keine Pferde und Ninder- kadaver dortselbst zu finden sind, dieweilen solche in unseren autochthonen Frankfurter Würsteln aufgebahrt zu werden pflegen, so dient dieß anmuthige Flüßchen schon seit undenklichen Zeiten als Begräbnißstütte von Hunden und Katzen; falls dein Blick aber längs der Böschung des rechten Ufers schweifen sollte, so wird er aus reiche Guirlanden von Zwiebeln, faulen Eiern, Obst,
Grünzeug aller Art stoßen, welche in der Symphonie von Düften einen mächtigen Akkord bilden. Hier beginnt der Naschmarkt.
Verfüge dich, geneigter Fremder, mit mir mitten in's Ge- wühle. Ein schrilles Gewirr von Stimmen dringt wie Meeresgebraus an dein erstauntes Ohr: „Her da, sieben Zwetschken um zwa Kreuzer!" — „Kaust's m'r dö Zwetschken a!" — „Was kriagns denn, Schatzerl, mach'n m'r a G'schäft?" — „Mährische Gurken, mährische Gurken hätt' i da!" — „An' Zwiesel, her da, an' Zwiesel!" — „Gnä' Frau, dö Birn müassn's kosten!" — „Wart, Du, Mistbua, Du graupeter, i' wir' Dir krapsen, wann i' Di' derwisch'!" — „Kaste Kolöffel, Spielelei!"
Edler Spree-Athener! Ich weiß sehr gut, daß diese Sprache deinen an den attischen Wohllaut der heimatlichen Metropole gewöhnten Ohren barbarisch klingt, und vergebens würdest du ihre Deutung versuchen. Es ist auch besser so. Denn solltest du zufällig das Mißfallen einer dieser robusten Damen erregen, so könnte es dir leicht geschehen, daß sie, über deine eventuelle Ahncnreihe stolz hinwegsehend, dir zuriefe: „Z'sammg'schnarfter Kletzensepperl, laß Di' hamgeigna!" was in der Sprache Schiller's und Goethe's ungefähr so lauten würde: „Du, an Schwindsucht leidendes, gedörrtes Birnen-Josefchen, laß Dich auf Deinem Heimweg mit der Violine begleiten." — Drum ist es besser, lieber Fremdling, du verräthst mit keiner Geberde, daß du zu dem Stamme Jener gehörst, welche die Wienerinnen lieben, aber die Berlinerinnen heirathen.
Eine unübersehbare Reihe von riesigen weißen Parapluies, welche von der Ferne leicht den Eindruck eines Zeltlagers machen können, schützen die verschiedenen „Standl" und ihre Besitzerinnen vor den versengenden Blicken der Augustsonne. Unter diesen Leinwanddächern sind zwar nicht die Schätze beider Indien, wohl aber ist Alles aufgespeichert, was Gemüse- und Obstgarten, Feld und Wald Liebliches und den Gaumen Reizendes beut. Es gibt für das Auge nicht leicht ein erquickenderes Bild, als solch' einen in aller Farbenpracht und Frische prangenden Gemüsestand. Als ob die Künstlerhand eines niederländischen Stilllebenmalers gewaltet hätte, ist Alles mit Geschmack und weiser Benützung der Farbeneffekte geordnet.
Zwischen mächtigen Körben von Spinat und Salaten aller Art blinken goldgelbe Zuckerrübchen, weiße und rothe Radieschen, und aus den dunkelgrünen Kohl- und den helleren Krauthäuptern guckt die schneeweiße Rose des Blumenkohls hervor;