Heft 
(1885) 29
Seite
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Deutsche Noman-Sibliothek.

flatterte Daphne und stach sie in die Lippe. Ein klagender Ruf entrang sich ihrem Munde. Silvia wollte der Freundin den Schmerz lindern und behauptete, ein vortreffliches Mittel dazu zu haben. Damit drückte sie ihre Lippen auf die der Freundin und saugte die Stichwunde aus. Konnte ein solches Heilverfahren die Wirkung verfehlen?

Nun hatte Aminta aufzutreten, der vergebens um die Gunst der spröden Silvia sich bemühte. Listig, wie er war, sollte er nun auch klagen, daß ihn eine Biene in die Lippe gestochen, um sich derselben beseligenden Kurmethode erfreuen zu können.

Als Silvia zuerst die Bühne betrat, war der Schäfer Acis von dem Reize ihrer Erscheinung völlig geblendet. Die schönen Frauen Venedigs nannten Händel kalt wie eine Eis­säule, und auch in Florenz hatte sein Herz dem zärtlichen Entgegenkommen der reizenden Sängerin Vittoria zu wider­stehen gewußt. Aber bei dem Anblick Silvia's durchströmte ungekannte Glutdie Eissäule aus dem Norden", und sein Herz war auf den ersten Schlag gefangen. Niemals hatte Händel ein anmuthigeres Geschöpf gesehen, als diese Schäferin mit der hohen, stolzen, majestätischen Gestalt, mit dem kind­lichen Gesichtchen und den großen, dunklen, schwermüthigen Augen. Sie bezauberte ihn, bevor ihn ein Blick aus diesen Augen getroffen. Nun pochte sein Herz gewaltig, da er die Bühne betreten sollte, um die bedenkliche Tändelei des Schäfer­spieles mit diesem anmuthigen Geschöpfe auszuführen.

Seine Stimme bebte, als er die ersten Worte sprach:

Ach, hilf mir, Silvia, hilf, die Biene stach Mir in die Lippe! Welche Qual! Sie spendet Den Anderen Honig, Gift nur deinem freunde.

Warst du das Bienchen nicht, o spröde Silvia?..."

Silvia beruhigte ihn lächelnd und wandte ihr Zaubermittel an. Sie drückte die rosigen, duftigen Lippen auf seinen Mund. Wie freute er sich seiner Rolle und der doppelten List, die er nun vorzubringen hatte:

Ach, Silvia, die Wunde schmerzt noch immer.

Versuche noch einmal dein Heilverfahren,

Das Gift mit Honig heilt..."

Und nochmals drückte Silvia den Mund auf die Lippen Aminta's.

Sein Herz erbebte unter den Küssen des entzückenden Ge­schöpfes. Wie gerne hätte er die Szene nochmals gespielt! Aber das ging nicht an. Im Stillen segnete er indessen den Abbate Adami, der ihm die schöne Rolle überlassen.

Nach wie vor fleht Aminta das spröde Mädchen vergebens an, ihm seine Liebe zu schenken. Silvia weist ihn ab. In einer nächsten Szene hat der Schäfer das Glück, die Geliebte aus den Klauen eines Satyrs zu retten, der sie raubsüchtig an einen Baum gebunden. Er tödtet den Satyr mit seinen Pfeilen und befreit die Nymphe. Kaum sind aber die Bande Silvia's gelöst, so entflieht sie der Stätte, wo sie in die Gewalt des Waldmenschen kam, und verschwindet im Dickicht. Vergebens sucht sie Aminta in dem stillen Hain, er hat ihre Spur verloren. Verzweifelt und klagend kehrt Aminta heim. Da stürzt weinend Daphne herbei und meldet, sie habe den blutigen Schleier der Freundin im Walde gefunden. Ein Wolf müsse sie zerrissen haben. Als Aminta die Kunde er­fuhr, beschloß er, seinem Leben ein Ende zu machen, und stürzt sich von einem hohen Felsen in den Strom. Silvia wurde aber nicht von Wölfen zerrissen. Von den Freunden auf­gefunden, hört sie von dem Schicksale Aminta's, und ihr sprödes Herz ist tief bewegt. Sie möchte ihn noch lieben, wenn er lebte, und eilt zum Flusse, um wenigstens seine Leiche mit ihren Küssen bedecken zu können. Aber auch Aminta hat kein tragisches Ende gefunden. Ein Strauch fing ihn mit seinen starken Zweigen, mit dem weichen Laub seiner Arme, im Falle auf. Dort fanden ihn Fischer, in tiefer Ohnmacht befangen. Silvia kommt eben zur rechten Zeit herbei, da es gelingt, den Bewußtlosen in's Leben zurückzurufen. Er er­wacht in den Armen der Geliebten und empfängt von ihren Lippen den Brautkuß...

Noch einen Kuß! Welche herrlich geschmückte Rolle! Sie versetzte den neugeschaffenen Schäfer Acis in einen unbeschreib­lichen Zustand des Entzückens; ein seltsamer Rausch umfing seine Sinne.Diese Schäferin," dachte er,will ich durch's Leben begleiten wenn es irgendwie möglich ist!"

Es war aber nicht möglich. Bei dem Gaftmahle, welches

der Vorstellung folgte, wurde ihm die Schöne mit ihrem wahren Namen vorgestellt. Die Schäferin Silvia war die Gräfin Ruspoli, die Gattin des Greises, in dessen gastfreund­lichem Hause sich der deutsche Komponist befand.

Das Herz schmerzlich bewegt, kehrte Händel in sein Heim zurück. Wie es kam, daß dieses schöne, jugendfrische Wesen die Frau jenes alten Mannes geworden er fragte nicht darnach. Es mochte wohl auch bei diesem Ehebündnisse wie bei den meisten Heirathen in der vornehmen Welt Italiens der auf das Mädchen ausgeübte Zwang maßgebend gewesen sein. Der schwermüthige Blick der jungen Frau bewies ge­nugsam, daß sie nicht glücklich war. Konnte sie es auch sein?

Händel wollte die schöne Jsabella fliehen, hatte aber nicht die Kraft dazu. Er mußte seine Liebe als hoffnungslos er­kennen und gab sich doch dem Zauber hin, welchen die schöne Gräfin auf ihn ausübte. Immer wieder kehrte er in die Arcadia zurück. Auch er schien auf sie Eindruck zu machen. Sie errieth seine Liebe, und da sie sich vielleicht auch auf manchen verbotenen Regungen des Herzens ertappte, vermied sie es, mit ihm allein zu fein. Es war in einem andern Schäferspiele:dalateg. 6 kolilerno", welches die Liebe des Cyklopen zur Meernymphe behandelte, da spielte Händel noch einmal mit der Geliebten. Er stellte Thirsi, den Schäfer, dar, welcher Galatea vor dem Verfolger errettet. Er hatte die Worte zu sprechen:

O, flieh' mit mir, Geliebte, in die Ferne,

An einen blum'gen Strand, wo uns're Liebe Geschützt ist vor Gefahr..."

Die kleine Hand, die er in der seinigen hielt, erzitterte und ihre Stimme bebte, da sie ihm erwiederte:

Geduld, mein Freund, die Herzen, die sich fanden.

Vereint dereinst das Glück, wie heut' die Liebe!"

Er wußte es bestimmt, die Worte standen nicht in ihrer Rolle. Das war die Antwort der schönen Frau auf die stille Werbung feiner Liebe.

Bald darauf traten kriegerische Ereignisse ein. Die Streitig­keiten zwischen Kaiser und Papst führten zu ernsten Konflikten, und Clemens XI. ließ von den achtzehn Thoren Roms acht vermauern. Händel mußte Rom verlassen, wenn er sich nicht der Eventualität aussetzen wollte, eine langwierige Belagerung der Stadt mitzumachen, welche ihm die Frist, die er sich für die italienische Reise gesetzt sie war ohnehin schon über­schritten in's Ungewisse ausdehnen konnte.

Mit blutendem Herzen riß er sich von der Tiberstadt los und dem schönen Frauenbilde, in dessen Zauberbann er lag.

In den Handschriften Händel's befindet sich ein Stück, das den Titel trägt:Abschied von Rom", welches tiefe Wehmuth durchzieht. Gleich im Beginn der Tondichtung finden wir da eine schöne Arie an die unbekannte Geliebte seines Herzens, ein Liebesjeufzer, ähnlich dem deutschen Liede:

Küsten dir die Lllftclein Wangen oder Hände,

Denke, daß es Seufzer sei'n.

Die ich zu dir sende,

Tausend schick' ich täglich aus.

Die da wehen um dein Haus,

Weil ich dein gedenke!"

Und nach tieftraurigen Rezitativen folgt eine neue schwung­volle Arie:

Ich berge die Glut, die mich verzehrt.

Ich leugne die Liebe, die mir verwehrt,

Ich leide und hoffe und schweige und liebe.

Ach, daß mir die Holde erhalten bliebe.

Ach, daß ich sie fände süß und schön,

Wenn wir uns einstens wicderseh'n.

Daß sie mich empfinge mit dem Kuß,

Den ich mir heute versagen muß!"

Händel kehrte nicht mehr nach Rom zurück, und neue Eindrücke verdrängten in dem jugendlichen Herzen bald die alten. Unter der schönen Sonne Neapels gesundete langsam sein krankes Gemüth. Die schöne Gräfin Ruspoli aber mag er niemals vergessen haben und dachte wohl oft an sie zurück auf der kalten, nebligen Insel Albions, die seine spätere Heimat wurde. Die anmuthige Schäferin Silvia, die arkadischen Spiele in den Zaubergärten des Südens, Rom, die mächtige Stadt das war die Sonne seines Lebens, das war seine Jugend. Und wessen Erinnerung verweilt nicht gerne bei ihren glück­lichen Tagen?!...

Redaktion: vr. Edmund Zoller. Druck und Verlag der Deutschen Verlags-Anstalt (vormals Eduard Hallberger) in Stuttgart.