Heft 
(1885) 29
Seite
695
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Feuilleton.

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Feuilleton.

Kändek in Hl o in.

Don

Hugo Klein.

Es war an einem sonnigen Marztage im Jahre 1708, als Georg Friedrich Händel in der ewigen Stadt eintraf und mit entzücktem Blicke das herrliche Panorama von Häusern, Villen und Gärten, Kirchen und Klöstern, schlanken Thürmen und mächtigen Kuppeln betrachtete, welches sich vor seinen Augen entrollte. Rom bildete seit Langem die Sehnsucht seines jungen Künstlerherzcns, das völlig berauscht war von der nahen Aus­sicht, alle die Wunder der Siebenhügelstadt anstaunen zu können. Dem kaum vierundzwanzigjährigen Komponisten ging bereits ein großer Nus voran. Freilich kannte man ihn mehr als Virtuosen, denn als Kompositeur. Sein glänzendes Klavier­spiel hatte ihn in Venedig in wenigen Wochen zum Helden aller Salons gemacht, und derdeutsche Virtuos" war in der Lagunen­stadt eine vielgefeicrte, vielumworbene Persönlichkeit gewesen.

Zwei Tage brachte er ausschließlich damit zu, in den Straßen Roms zu promeniren, das Volksleben zu beobachten und sich ganz und gar den Eindrücken hinzugeben, welche die mächtige Stadt durch ihre äußere Erscheinung, durch die pittoresken Reize ihrer Lage auf ihn ausübte. Erst am dritten Tage er­schien er bei einem bekannten Tondichter, Andrea Scarlatti, von dessen Bruder in Venedig er Grüße übcrbrachte.

Scarlatti empfing Händel mit offenen Armen. Er kannte den Ruf des deutschen Virtuosen, war jung wie er und fühlte sich Zu dem Schützlinge seines Bruders auf den ersten Anblick hingezogen. In weniger als einer Stunde waren die beiden jungen Männer Freunde geworden. Scarlatti zwang den Gast, in sein Haus zu übersiedeln, und übernahm es, ihn in die römische Gesellschaft einzuführen. An demselben Abend sollte bei einem angesehenen Mitgliede derselben, dem Cavaliere Corelli, ein prächtiges Maskenfest stattfinden. Hier sollte Händel die schöne Welt Roms zuerst in Augenschein nehmen. Scar­latti brach sofort auf, seinem neuen Freunde einige der Sehens­würdigkeiten der ewigen Stadt zu zeigen, und am Abend be­schafften sie gemeinsam den Pilgeranzug, in welchem Händel in der Villa Corelli erscheinen sollte. Scarlatti, sein Begleiter, hatte das Kostüm eines spanischen Arkebusiers gewählt.

Der italienische Tondichter wurde übrigens trotz seiner Ver­kleidung in der Villa Corelli bald erkannt. Als die Freunde dort zu später Nachtstunde erschienen, herrschte bereits fröhliches Leben. An den eleganten Kostümen der Masken war zu er­sehen, daß sich hier wirklich die vornehme Welt Noms Rendez­vous gegeben hatte, wie Scarlatti cs vorausgesagt. Die meisten der Anwesenden kannten einander übrigens trotz der Ver­kleidungen, und Viele nahmen daher auch, als der ganze Saal bei ihrem Eintritte lachend ihre Namen rief, die lästige Larve ab. Um so mehr intriguirte der fremde Pilger, den Niemand erkannte, alle Welt. Ein Meister im gesellschaftlichen Verkehre, fügte sich Händel leicht dem Umgangstone der feinen römischen Kreise. Den Attaken der übermüthigen Kavaliere antwortete er mit feinen, treffenden Witzworten und scherzte ungezwungen mit den Damen, die sich an seinen Arm hingen, um ihn, den frommen Verirrten, mit dem Rosenkranz zu necken. Alles umdrüngte Scarlatti, um von ihm den Namen seines Be­gleiters zu erfahren; dieser aber hüllte sich in ein gehcimniß- volles Schweigen. Als die Sänger und Geigenspieler in dem Saale schwiegen, trat Händel plötzlich an das Klavier. Eine zarte Hand drückte ihn auf den Sessel nieder und so begann er zu spielen. Er spielte einen Bolero, spielte ihn mit so hinreißender Verve, solcher Glut im Ausdruck und solcher Kunstfertigkeit, daß die ganze Versammlung in stürmischen Beifall ausbrach, als er geendet hatte.

Beim Himmel!" rief ein junger Mann im Perserkleide, das ist der ,deutsche Virtuos' oder der Teufel!"Der Teufel," sagte Händel lachend,wird doch nicht im Kleide eines frommen Wallfahrers erscheinen!"Dann ist es nur der Deutsche aus Venedig!" ries der Perser, der kunstsinnige Abbate Adami.Lvviva, unserem Gaste!"

Händel mußte sich demaskircn, wurde von dem Gastgeber auf überschwengliche Weise willkommen geheißen und von der ganzen Gesellschaft mit Komplimenten überhäuft. Bevor er aus dem Kreise schied, dessen Held er plötzlich geworden war, näherte sich ihm ein schöner Greis mit weißem Haar und langem weißem Barte.

Erlauben Sie," sagte er zu Händel,daß ich mich Ihnen vorstelle. Ich bin der Conte Ruspoli, der Präsident der .Arcadia'. Darf ich Sie bitten, an den Abenden unserer Ge­sellschaft zu erscheinen? Wir werden Sie Alle mit Vergnügen sehen, auch meine Frau, die heute leider verhindert war, hier zu erscheinen, und lebhaft bedauern wird, daß sie meine Ein­ladung nicht unterstützen konnte."

Händel dankte für die freundliche Einladung und versprach, an einem der nächsten Abende in der Arcadia zu erscheinen.

Die Arcadia war eine Gesellschaft für die schönen Künste, welche in Rom im Jahre 1690 von einer Anzahl Poeten, Gelehrten und Geistlichen, darunter den Erzpriester Crescimbeni, den Kardinal Paolucci, den Dichter Silvio Stampiglia rc., zur Pflege der Volkspoesie und Beredsamkeit gegründet wurde. Die gesammte vornehme Welt Roms gehörte dieser Gesellschaft an, welche erst im Palaste der schwedischen Königin Christine, dann in dem des Kardinals Ottoboni und schließlich bei dem alten Grafen Ruspoli ihre Versammlungen abhielt. Graf Ruspoli, einer der reichsten Kavaliere der Siebenhügelstadt, ließ in seinem reizenden Garten auf dem Monte Esquilino für die Arcadia ein besonderes, prächtiges Amphitheater er­bauen, welches sogar Papst Clemens XI. häufig mit feinem Besuche beehrte. Die Arcadia hatte den Namen von den Schäferspielen, welche die Gesellschaft aufsührte und die auch die Bestimmung des Theaters erklärlich machten. Die Pastora­len waren zu jener Zeit in Nom sehr in Mode.

Als Händel in der Villa des Grafen erschien, wurde er wie ein Netter aus der Noth begrüßt.

Wären Sie bereit, in dem Pastorale des heutigen Abends eine Rolle zu übernehmen?" fragte ihn Ruspoli.Wenn es dazu keiner großen Vorbereitungen bedarf," sagte der Kom­ponist,mit Vergnügen."Gewiß nicht," sagte Ruspoli. Denken Sie einmal, wir wollen Tasso's .Aminta' auffllhren, welches Schäferspiel ich eigens für unsere Zwecke eingerichtet und umgearbeitet habe. Nun schreibt mir der Abbate Adami eine Stunde vor Beginn der Vorstellung, er sei so krank, daß er nicht kommen könne. Das ist fatal. Wenn Sie indessen seine Rolle übernehmen wollten, wäre uns geholfen. Es wäre unangenehm, jetzt die Vorstellung aufgeben zu müssen. Ihre Partie ist zwar die Hauptrolle, Sie müßten sie aber in einer Stunde wörtlich auswendig lernen. Es genügt, wenn Sie den Szenengang kennen Sie haben ja Geist genug, den Dialog aus Eigenem zu führen. Unsere Damen machen es alle so sie können sich absolut nicht zum Memoriren ver­stehen. Sie haben auch nicht Zeit dazu. Ihr Freund Scar­latti, der auch in dem Pastorale beschäftigt ist und mehrere Szenen mit Ihnen zu spielen hat, wird Ihnen helfen, sich in der Sache zurechtzufinden. Also auf Wiedersehen, junger Freund!"

Damit entfernte sich der Graf, der trotz seines hohen Alters mit wahrem jugendlichem Feuer gesprochen hatte, in größter Eile.

Händel fand sich mit seiner Aufgabe bald ab, und zur bestimmten Stunde erschien er mit Scarlatti auf der Bühne des Theaters auf dem Monte Esquilino. Die kräftige, jugend­liche Gestalt sah in dem antiken Schäferkostüm, das er an­gelegt, prächtig aus. Es traf ihn mancher wohlwollende Blick aus schönen Augen, als er im Kreise der Mitspieler erschien. Wer sie waren? Man nannte ihm nur ihre Schäfernamen, wie man ihn nur als Acis vorstellte so sollte er fürder in der Arcadia heißen. Im Dämmerlichte der Coulissen konnte er übrigens die Gesichter und Gestalten seiner neuen Freunde kaum unterscheiden.

Die Vorstellung begann. Die erste Szene war eine an- muthige Kußidylle. Die Jagdnymphe Silvia erschien mit ihrer Freundin Daphne auf der Bühne. Eine Biene um-